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König Charles musiziert auf einem Glarner Piano – zumindest indirekt – das ist die Erfolgsgeschichte vom Cembalobauer Burkhardt Tschudi

  • Autorenbild: Patrick
    Patrick
  • vor 6 Tagen
  • 8 Min. Lesezeit

Janina Rageth, Artikel in der Südostschweiz vom 31.05.2025. Translation by Patrick A. Wild (Publikation mit freundlicher Genehmigung der Autorin und des Verlags)


1718 verlässt Burkhardt Tschudi mit 16 Jahren Schwanden und reist in die Grossstadt London. Dort steigt der Schreiner zum erfolgreichen Geschäftsmann auf. Sogar der König Englands kennt seinen Namen.


Die Familie Tschudi: Burkhardt Tschudi (links) steigt in London zum erfolgreichen Cembalobauer auf. Das Gemälde zeigt ihn mit seiner Familie. Pressebild


Ein 16-jähriger Bursche ist vollbepackt unterwegs. Hinter ihm ragt ein Kirchturm in die Höhe und davor reihen sich viele kleine Häuschen und ein paar Gärten in engen Gassen aneinander. Über dem Kopf des Jungen glänzt der schneebedeckte Tödi in weiter Ferne. Er ist vor Kurzem von zu Hause in Schwanden losgelaufen.


Keine Zukunft in der Heimat


Sein Gesichtsausdruck ist schwer zu deuten. Körpersprache und Gesichtsausdruck lassen ihn etwas bedrückt wirken. Doch in seinen Augen entdeckt man auch freudige Aufregung. Denn es liegt eine lange Reise vor ihm. Das Ziel: London.


Der junge Bursche ist der 1702 in Schwanden geborene Burkhardt Tschudi. Zu dieser Zeit ist er nicht der Einzige, der mit der Hoffnung auf mehr Perspektiven das Glarnerland verlässt. Für das kleine Bergdorf, aber auch den gesamten Kanton Glarus ist die Holzindustrie einer der bedeutendsten Wirtschaftszweige. Im 18. Jahrhundert machen sich aber in der Schweiz Befürchtungen vor einer Holznot breit. Empfehlungen, wie man Holz spart, werden veröffentlicht und es werden Einschränkungen beim Holzabbau erlassen.

Ein kleines Bergdorf: Die Illustration ist um 1714 entstanden und zeigt Schwanden.

Bild: Landesarchiv Kanton Glarus


Burkhardt Tschudi hat von seinem Onkel das Schreiner- und Tischler-Handwerk gelernt. Mit 16 Jahren steht er vor einer grossen Entscheidung: Soll er in der Heimat bleiben und wie sein Vater ein neues Handwerk in der Baumwollindustrie erlernen oder sein Glück in einer der aufstrebenden Städte Europas suchen?

Ein junger Bub mit einem grossen Traum: 1718 verlässt Burkhardt Tschudi seine Heimat. Die Ansichtskarte (Hintergrund) zeigt Schwanden zu einem unbekannten Zeitpunkt.

Bildmontage: Chatgpt/Pressebild


London


Wie Tschudi genau nach London gereist ist, ist nicht bekannt. Allerdings ist es zu dieser Zeit üblich, zu Fuss unterwegs zu sein, oder wer es sich leisten konnte, mit Pferd oder Kutsche. Um nach England zu gelangen, musste man auf einem Schiff anreisen.


Der deutsche Schriftsteller Karl Philipp Moritz schreibt 1782 über seine Ankunft in London. Tschudi wird es vermutlich ähnlich ergangen sein. «Die Paulskirche hob sich aus der ungeheuren Masse kleinerer Gebäude, wie ein Berg empor», schreibt Philipp Moritz. Auf der Themse sei eine grosse Anzahl kleiner hin und her fahrender Boote mit Mast und Segel unterwegs. Personen von allerlei Ständen seien auf den Booten. «Wodurch dieser Fluss beinahe so lebhaft wird wie eine Londner Strasse», heisst es weiter.


Man kann sich kaum vorstellen, wie überwältigend die Ankunft in London für Tschudi gewesen sein muss. Noch nie hat er so viele Menschen auf einmal gesehen. Dass er einmal unter diesen vielen Menschen derjenige sein würde, der für den König ein Cembalo baut, hätte Tschudi wohl kaum erahnen können.

Auf der Londoner Ansichtskarte aus dem Jahr 1763 ist die Themse und im Hintergrund (rechts) der Tower of London zu sehen. Pressebild


Burkat Shudi, der Cembalobauer


Dass Tschudi in London Erfolg hatte, beweist das klavierähnliche Instrument im Freulerpalast in Näfels. Es ist ein Cembalo aus dem 18. Jahrhundert. Im Gegensatz zum Klavier werden die Tasten nicht angeschlagen, sondern gezupft. In elegant geschwungenen Buchstaben steht hinter den Tasten geschrieben: «Burkat Shudi Nr. 639 fecit Londini 1771.»


Die wenigsten würden bei «Burkat Shudi» an einen Glarner denken. Es ist eine ins Englisch angepasste Form des glarnerischen Namens Burkhardt Tschudi. Auf dem Cembalo ist auch die Nummer 639 und das Entstehungsjahr 1771 verewigt. Im kleinsten Palast der britischen Royals, im Kew Palace oberhalb von London, steht im Gesellschaftszimmer der Queen auch so ein Cembalo. Auch das ist mit «Burkat Shudi fecit Londini» angeschrieben.

Oben: Über 250 Jahre alt: Im Freulerpalast in Näfels steht ein Tschudi-Cembalo, das 1771 gebaut wurde. Bild: Sasi Subramaniam



Links: Feinste Holzarbeit: Das Cembalo im Freulerpalast ist wie jenes in London mit «Burkat Shudi fecit Londini» angeschrieben. Bild Sasi Subramaniam


Gehört hat das Cembalo im Kew Palace Friedrich von Hannover, der später als König Georg III den englischen Thron bestieg. Jenes im Freulerpalast wurde 1980 dem Lande Glarus geschenkt. Zuvor war es in Privatbesitz von einem Daniel Tschudi.


Ein neues Leben in London


Bei Jakob Wild, der auch aus Schwanden kommt, wohnt Tschudi in London. Wild hat sich bereits ein Leben als Kaufmann in der englischen Stadt aufgebaut. Seine Tochter Katharina heiratet später Tschudi.


Das Handwerk als Cembalobauer erlernt Tschudi von Hermann Tabel. Über zwei Bekanntschaften in der Musikbranche, dem Direktor der «Royal Academy of Music» Johann Jakob Heidegger und Komponist Georg Friedrich Händel, bekommt Tschudi Zugang zu jener Obrigkeit, die überhaupt die Mittel hat, Musikinstrumente wie Cembalos zu kaufen. Bereits in den 1720er-Jahren eröffnet er sein eigenes Cembalo-Geschäft.


Viele Schweizer können sich zu dieser Zeit in London mit Berufen in der Holzindustrie ein neues Leben aufbauen. Sie alle bilden mit dem niedrigen Adel eine neue Gesellschaftsschicht: das Bürgertum.


Vom Einwanderer zum Geschäftsmann


Fast sieht man ein leichtes Grinsen auf Tschudis Gesicht. Eine weissgepuderte Perücke schmückt seinen Kopf und in ein hellblaues, glänzendes Gewand gekleidet stimmt er gerade ein Cembalo. An der Wand hinter ihm hängt ein Porträt seines Patrons Friedrich von Hannover, dem Prince of Wales.


Tschudis sechsjähriger Sohn Joshua steht neben ihm und schaut ihm interessiert beim Stimmen des Cembalos zu. Tschudis Frau Katharina sitzt auf einem Stuhl daneben. Ihren linken Arm hält sie schützend um den fünfjährigen Burkat, der versucht, davonzulaufen. Er hält einen Keks in der Hand, der aufmerksam von der Familienkatze beobachtet wird.


Tschudi hat guten Grund zum Grinsen. Vom 16-jährigen Einwanderer ist er in London innerhalb von rund 20 Jahren zum erfolgreichen Geschäftsmann aufgestiegen. Wahrscheinlich liessen die Tschudis das Familienporträt von sich malen, um diesen Erfolg zu feiern.


Die Requisiten auf dem Familiengemälde zeigen den Status der Tschudis. Perücken wurden zunächst nur vom Adel getragen. Aber im Verlauf des 18. Jahrhunderts wurden sie kleiner, günstiger und auch vom gehobenen Bürgertum in Städten benutzt. Tschudis Frau Katharina ist in ein modernes Seidenkleid gekleidet. Auf dem Kopf trägt sie aber eine traditionelle Leinenmütze. Aus dem Porzellangeschirr auf dem Tisch trinkt die Familie die für die damalige Zeit neuartigen und exotischen Getränke wie Tee oder Schokolade.


Nach einer Finanzkrise im Jahr 1720 bleiben die politische und wirtschaftliche Lage im Vereinigten Königreich für eine lange Zeit stabil. Zudem ist London als Hafenstadt und durch die zahlreichen Kolonien auf der ganzen Welt ein Handelszentrum. Zwischen 1700 und 1780 verdoppelt sich der englische Aussenhandel. Es entstehen viele Möglichkeiten, als Unternehmer oder Händler Reichtum zu erwerben und so sozial aufzusteigen.


Heute hängt das Familienporträt der Tschudis, oder richtiger Shudis, in Raum 9 im dritten Stock der «National Portrait Gallery» in London. Unweit vom Leicester Square entfernt. Es wurde 1742 vom deutschen Maler Marcus Tuscher erstellt.


Feierstimmung in London


Ein «Gewühl von Menschen, wo jeder mit schnellen Schritten seinem Gewerbe oder Vergnügen nachgeht, und sich allenthalben durchdrängen und stossen muss», beschreibt der deutsche Schriftsteller Karl Philipp Moritz die Stadt London 1782. Das Gewühl von Menschen muss Tschudi auch knapp 20 Jahre zuvor von seiner Werkstatt aus in der Great Pulteney Street beobachtet haben können.


In den Strassen Londons herrscht zu dieser Zeit eine heitere Stimmung. Bald wird am 22. September 1761 König Georg III in der Westminster Abbey gekrönt. Auch Tschudi ist in Feierstimmung. Denn sein treuer Patron Friedrich, der Prince of Wales, ist jener, der am 22. September gekrönt wird.


Statt auf das Treiben in der Strasse vor seinem Geschäft schaut der mittlerweile 59-Jährige aber einem jungen Mann über die Schulter, der die Fussleisten eines Cembalos zusammenklebt. Nachdem er ihm eine Weile beim Arbeiten zugeschaut hat, stoppt er ihn. Er zeigt auf eine Stelle, wo die Fussleisten noch nicht perfekt sitzen. Der junge Mann versucht gleich darauf, seine Ungenauigkeit auszubessern.


Der Name des jungen Mannes ist John Broadwood. 1761 beginnt er bei Tschudi seine Ausbildung. Auf dem Dachboden im Haus an der Great Pulteney Street kann Broadwood mit den anderen Mitarbeitern wohnen. Dabei lernt er Tschudis Tochter Barbara kennen, die nach den zwei Söhnen im Familiengemälde geboren wird. Später heiraten John Broadwood und Barbara Shudi.


Ein aufsteigender Weltstar spielt auf Tschudis Cembalo


Unweit von seinem Geschäft in der Great Pulteney Street entfernt bauen Tschudi und seine Mitarbeiter ein Cembalo im Konzertsaal «Hickford's Room» auf. Das Cembalo wird für jemanden aufgebaut, der seit zwei Jahren mit seiner Familie durch ganz Europa von Hof zu Hof reist, um Konzerte zu geben. Das Cembalo selbst ist eigentlich für Friedrich den Grossen, den König von Preussen, bestimmt. Ein talentierter Junge darf Tschudis Instrument aber, bevor das Instrument dem Monarchen zugeschickt wird, noch vor Publikum bespielen.

Sieht aus wie ein Klavier, ist aber keines: Beim Cembalo werden die Seiten beim Drücken der Tasten gezupft. Bild: Sasi Subramaniam


«For the Benefit of Miss MOZART of Thirteen, and Master MOZART of Eight Years of Age, Prodigies of Nature. HICKFORD'S Great Room in Brewer Street, Monday, May 13 will be A CONCERT of MUSIC With all the OVERTURES of this little Boy's own Composition», macht ein Plakat Werbung für das Konzert. Bei Miss Mozart und Master Mozart handelt es sich um niemand Geringere und niemand Geringeren als Anna Maria, kurz Nannerl, Mozart und Wolfgang Amadeus Mozart.

Musizierende Geschwister: Die Ölgemälde von Pietro Antonio Lorenzoni zeigen Nannerl Mozart (links) und Wolfgang Amadeus Mozart im Kindesalter. Pressebilder


Tschudis Vermächtnis


Sechs Jahre nach dem Mozartkonzert übergibt Tschudi das Geschäft seinem Sohn Burkat und seinem Schwiegersohn John Broadwood. Letzterer wird zum tatsächlichen Chef werden und bald auch neben Cembalos an Pianos herumexperimentieren. Der Name des Geschäfts wird 1795 von «Shudi & Broadwood» zu «John Broadwood & Son» geändert. Burkhardt Tschudi oder, wie er in England hiess, Burkat Shudi stirbt aber bereits 1773 im Alter von 71 Jahren.


Sein Vermächtnis lebt, wenn auch nicht so offensichtlich, mit dem Unternehmen «John Broadwood & Son» bis in die heutige Zeit weiter. 1808 bekommt es, nachdem Broadwoods zweiter Sohn ins Familiengeschäft einsteigt, den Namen «John Broadwood & Sons», der bis heute bestehen bleibt. König George IV, Queen Victoria oder auch Queen Elizabeth II erwerben Broadwood-Pianos oder Musikern wie Chopin werden Broadwood-Pianos für ihre britische Tournee zur Verfügung gestellt. Im Winter 2025 erhält das Unternehmen das Recht zum offiziellen Hoflieferanten für König Charles III.


«John Broadwood & Sons» gehört zu den ältesten und renommiertesten Piano-Herstellern der Welt. Die wenigsten wissen aber, dass das Ganze mit einem 16-jährigen Glarner begann, der den Mut hatte, vom kleinen Bergdorf Schwanden in die grosse Metropole London zu ziehen.

 

Mit Glarner Augen durch Zeit und Raum: Geschichten von Glarner Draufgängerinnen und Helden


Die Serie «Mit Glarner Augen durch Zeit und Raum» widmet sich historischen Glarner Persönlichkeiten, die entweder den Mut hatten, sich ins Ungewisse zu stürzen, wie Frieda Gallati entgegen gesellschaftlichen Erwartungen handelten oder wie Fritz Paravicini etwas Gutes in der Welt bewirkten.Burkhardt Tschudi wird 1702 in Schwanden geboren. Mit 16 Jahren wandert er nach London aus und erlernt dort von Hermann Tabel das Handwerk des Cembalobauers. 1728 eröffnet Tschudi sein eigenes Geschäft und kann im Laufe seines Berufslebens einflussreiche Personen wie den englischen König Georg III oder den preussischen König Friedrich den Grossen beliefern. Die heute noch existierende Piano-Firma «John Broadwood & Sons», die noch heute für den britischen Hof Pianos baut und unterhält, startete mit dem Cembalogeschäft von Burkhardt Tschudi.

 

Biografische Anmerkungen (Patrick A. Wild)


Burkhard Tschudi wurde am 13. März 1702 als Sohn des Wollenhändlers, Chirurgen und Ratsherrn Josua Tschudi (1673-1755) und der Margaretha Elmer (1673-1740) in der «Farb» in Schwanden geboren. 1728 heirateten Burkhard Tschudi (Shudi) und Katharina Wild (1707-1758), die schon vor Tschudi mit ihren Eltern aus Schwanden nach London ausgewandert war, und sie gründeten mit ihrer Mitgift das Geschäft. Mit ihr hatte er elf Kinder. Nach Katharin’s Tod heiratete Shudi 1759 zum zweiten Mal und bekam mit der Schweizerin Elizabeth Meyer eine weitere Tochter. Die Söhne Joshua (1736-1754), Burkhard (1738-1803) und die Tochter Barbara (1748-1776) mit ihrem Mann John Broadwood übernahmen am 7. März 1771 das Geschäft, das Broadwood (1732-1812) ab 1782 alleine führte. Der Enkelsohn Tschudis, James Shudi Broadwood (1772-1851), trug noch den Namen Tschudi.

 


Janina Rageth ist Redaktorin bei den Glarner Nachrichten, einer Publikation der Mediengruppe Somedia. Seit Januar 2025 ist sie dort festangestellt, nachdem sie zuvor ein Praktikum bei derselben Redaktion absolvierte. In ihrer journalistischen Arbeit berichtet sie ausschliesslich über Themen aus dem Kanton Glarus – von politischer Berichterstattung bis hin zu kulturellen und gesellschaftlichen Ereignissen. Neben ihrer Tätigkeit als Journalistin produziert sie auch digitale Inhalte, unter anderem für den TikTok-Kanal von Heidiland, den sie eigenständig konzipiert, filmt und bearbeitet. Janina Rageth schloss ihre Mittelschulausbildung 2021 an der Evangelischen Mittelschule Schiers ab. Derzeit befindet sie sich im Abschluss ihres Bachelors in Geschichte der Moderne an der Universität Fribourg.

 
 
 

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