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Wirtschaftgeschichte des Kantons Glarus

Vor dem Aufkommen der Baumwollindustrie im 18. Jh. war die Glarner Wirtschaft von ihren natürlichen Ressourcen, den Bodenschätzen (Kupfer- und Silberminen, Schieferlager), der Land- und Forstwirtschaft sowie vom Überschuss an Arbeitskräften geprägt.

 

Gleich wie in den übrigen Bergkantonen blieben die Landwirtschaft und der Solddienst für das ganze Glarnerland bis ins 1. Drittel des 17. Jh. die wichtigsten Erwerbszweige. Der im 14. Jh. im Sernf- und im Grosstal noch bezeugte Feldbau ging zu Gunsten der Viehzucht zurück, ein Vorgang, der sich im 16. Jh. beschleunigte. Die wichtige Rolle der Alpweiden ergab sich aus ihrer grossen Ausdehnung im Vergleich zu den Heuwiesen. Der Überschuss an Sömmerungsplätzen ermöglichte es, im Frühling zusätzlich Vieh zu importieren, das im Herbst verkauft werden konnte. Das Interesse an diesem Geschäft bewog die regierenden Familien vom 16. Jh. bis Mitte des 18. Jh., den Kleinbauern systematisch Weiderechte abzukaufen. Ab dem 16. Jh. kontrollierte die Landesobrigkeit regelmässig die Bestossung der Weiden wie auch die Urbarmachung von Land, um eine Übernutzung zu verhindern. Im 18. Jh. führte die erhöhte Nachfrage nach Milchprodukten zu einer veränderten Zusammensetzung der Viehherden: Es wurden immer mehr Milchkühe auf Kosten des für den Export bestimmten Schlachtviehs gesömmert.

 

Der Mangel an Beschäftigungsmöglichkeiten und die Umstellung des Agrarsektors (auf die weniger arbeitsintensive Milch- und Viehwirtschaft) bewirkten, dass viele Glarner in fremde Dienste zogen. Diese Tätigkeit ist vom 14. Jh. an bezeugt und spielte bis Mitte des 17. Jh. eine grosse Rolle. Zwischen 1616 und 1641 hoben die Führungsschichten des Landes nahezu 30 Kompanien aus. In der Folge bestimmte die Konfessionszugehörigkeit die Wahl der Berufstätigkeit. Die katholische Führungsschicht setzte ausschliesslich auf den Solddienst, was auf die Dauer zu einer Verarmung der katholischen Bevölkerung führte. Die Evangelischen investierten von der Reformationszeit an in Gewerbe und Handel, während die fremden Dienste nur die letzte Zuflucht in Zeiten wirtschaftlicher Not und Arbeitslosigkeit darstellten.

 

Vielfältige Produktionszweige und Tätigkeiten trugen spätestens ab dem 15. Jh. dazu bei, Wirtschaft und Handel in Glarus zu festigen. 1240 ist ein wohl eher unbedeutender Markt in Glarus erwähnt. Als der Flecken Glarus 1419 zum Hauptort wurde, erging ein Verbot, in Näfels einen Markt zu halten. Dieser Beschluss bestätigt die wachsende Bedeutung, die damals dem Handelsaustausch in ganz Glarus - und nicht mehr nur in der Ebene - zukam. Ab dem 17. Jh. waren die Glarner in den expandierenden Wirtschaften Nord- und Osteuropas tätig. Sie trieben Vieh auf die italienischen Märkte und flössten für die Niederlande bestimmtes Holz. Aus einigen Rohstoffen erzeugten sie Produkte mit hoher Wertschöpfung: den aus Kuhmilch und blauem Hornklee hergestellten Schabziger, wohl das älteste Exportprodukt des Landes; Mätzen genannte Tücher, ab dem 15. Jh. unter Verwendung traditioneller Fasern (Wolle und Leinen) gefertigt, deren Abfälle der Watteherstellung dienten; Tische mit eingelassenen und polierten Schiefertischblättern, die bis in die entlegensten Gegenden Europas exportiert wurden; eine mit Pflanzenwurzeln, insbesondere Enzian, hergestellte Spirituose; den im 18. Jh. erfundenen Glarner Kräutertee.

 

Institutionelle Faktoren trugen zum Erfolg der Wirtschaft bei: niedrige Steuerabgaben, das Fehlen des Zunftwesens mit seinen einengenden Vorschriften für Handwerk, Industrie und Handel und der Verzicht der Obrigkeit auf das Salzregal bis in die 2. Hälfte des 18. Jh. Der eigentliche Glarner Grosshandel setzte in der 2. Hälfte des 17. Jh. ein; von dieser Zeit an verfolgte die staatliche Wirtschaftspolitik das Ziel, den Glarnern die exklusive Vermarktung ihrer Erzeugnisse zu gewährleisten. Dies führte zur Entstehung einer Schicht von Kaufleuten, die in lokalen und internationalen Märkten tätig waren und denen es gelang, ausländische - insbesondere "welsche" - Zwischenhändler, die ihnen Konkurrenz machten, zu verdrängen. Im Innern jedoch erliessen die Behörden zahlreiche Gesetze, um der Spekulation einen Riegel zu schieben: im Bereich der Gewichte und Münzen, der Verbrauchsgüterpreise, der Löhne und Nahrungsmittelqualität; für einen Teil der alpwirtschaftlichen Produktion galt ein Marktzwang.

 

Die Öffnung gegenüber dem Aussenhandel begünstigte die Entwicklung zusätzlicher Aktivitäten und einer Infrastruktur, die auch dem Binnenhandel zugute kam: Eindeichung der Linth ab dem 15. Jh., Kanalschifffahrt auf der Linth, Schiffbau und Errichtung eines Zollhauses in Ziegelbrücke für die Händler im 17. Jh. sowie ein kantonaler Postbotendienst (ab 1766 konfessionell getrennt). Das Strassennetz war bis in die 1830er Jahre von mittelmässiger Qualität. Die Verbesserung der auf die Wirtschaftsräume im Norden ausgerichteten Verkehrswege erfolgte nur zögerlich, da sie ausschliesslich Sache der Besitzer der an die Wege und Strassen angrenzenden Grundstücke war, während die Kosten für den Bau und Unterhalt der Brücken ab 1471 von den Tagwen gemeinsam getragen wurden. Gegen den Süden hin gab es nur Saumpfade (Kistenpass ab Linthal, Panixerpass und Segnespass ab Elm).

 

 

Die Glarner Textilindustrie – eine Chronologie 

 

1714 Bewegt von der Armut und Verdienstlosigkeit in Glarus, brachte Andreas Heidegger, Pfarrhelfer und Diakon in Glarus, die Baumwollhandspinnerei im Verlagssystem ins Glarnerland. Heimlich liess er aus dem Zürichbiet Spinnerinnen kommen, die zur Handspinnerei von Baumwolle anleiten sollten. Beim Verlagssystem handelte es sich um eine Organisationsform der dezentralen gewerblichen Produktion. Die Verleger stellten den sog. Verlegten Kredite in Form von (Geld für) Rohwaren und z. T. auch Produktionsmittel zu Verfügung. Im Gegenzug produzierten diese in Heimarbeit die geforderten Waren und erhielten nach Fertigstellung von den Verlegern hierfür einen Stücklohn. Die Verleger vertrieben dann die Produkte. Dieses System ermöglichte die vorindustrielle Produktion von Gütern in großen Stückzahlen.

1720 Die Handspinnerei verbreitete sich ab 1720 im ganzen Kanton und blieb bis Ende des 18. Jh. die wichtigste Erwerbsquelle der Glarner Bevölkerung. 

 

 

1740 eröffnet Johann Heinrich Streiff die erste Indiennes- oder Zeugdruckerei im Glarnerland. Indien- nes, farbig bedruckte Baumwollstoffe, wurden seit dem 16. Jahrhundert von Indien nach Europa importiert. 1678 begann man in Europa mit dem Bedrucken von Baumwolltüchern. Vom Zeug- druck, das zeitaufwendige Bedrucken von Stoffen mit Holzmodeln, hatte Streiff nicht viel Ah- nung, doch engagierte er einen fachkundigen Koloristen (Farbenchemiker) hugenottischer Ab- stammung. Obwohl die indigoblauen Tücher aus Streiffs Manufaktur guten Absatz fanden, ent- wickelte sich die Glarner Druckindustrie im 18. Jh. nur langsam. 

1780 kommt das englische Maschinengarn auf und es findet ein Wechsel von der Handspinnerei zur Handweberei von Baumwolltüchern statt. 

1813 eröffneten die Gebrüder Blumer in Glarus die erste fabrikmässige Spinnerei. 

1814 nach Beendigung der napoleonischen Kriege, welche die gesamte Wirtschaft lahm gelegt hat- ten, beginnt der grosse Aufschwung der Glarner Textilindustrie, vorerst mit Zeugdruck und Heimweberei, später auch mit maschineller Weberei und Spinnerei; die Handspinnerei ver- schwindet vollends. Als Ursache für die Industrialisierung erwähnt später der Linthaler Pfarrer Bernhard Becker die Berge, "die uns zwischen ihnen keinen Raum lassen, so dass wir unser Brot pflanzen könnten. Wir mussten Kunstprodukte machen und von anderen Orten her das Brot uns geben lassen".

Zu Beginn der Industrialisierung gab es überhaupt keine Reglementierung der Fabrikarbeit und jede Einmischung des Staates in die Verhältnisse zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wurde zurückgewiesen. Uneingeschränkt wurden die Arbeitsbedingungen vom Fabrikbesitzer diktiert. In den Drucksälen herrschte eine schwüle, feuchtheisse Atmosphäre. Die Räume waren schlecht beleuchtet, die Ventilation ungenügend, Oel- und Farbengerüche stiegen auf und die eintönigen Arbeiten mussten mit grosser Hektik und oft in gebückter Haltung ausgeführt werden. Die übli- che Arbeitszeit lag bei 14 Stunden im Tag. "In den Spinnereien müssen die Kinder von morgens 5.00 Uhr bis abends 19.30 Uhr, oft noch länger bis 20.00 Uhr aushalten. Haben sie, wie häufig der Fall, noch einen weiten Arbeitsweg, so müssen sie um 4.00 Uhr oder sogar vorher aus dem Schlaf genommen werden, aus dem Schlaf, der für Kinder in reichem Masse geradezu unent- behrlich ist" (Bernhard Becker). 

1816 wurde von Arbeiterinnen und Arbeitern der Stoffdruckerei Egidius Trümpy in Glarus die erste Fabrik-Krankenkasse gegründet. 

1837 gab es im Glarnerland bereits 9 mechanische Spinnereien, die rund 400 Personen beschäftig- ten. In der Stoffdruckerei Egidius Trümpy traten im gleichen Jahr die Arbeiter für zwei Wochen in den Ausstand, um die Einführung einer Fabrikglocke, die Anfang und Ende der Arbeitszeit signalisierte, zu verhindern. Der Streik führte jedoch nicht zum gewünschten Erfolg. 

Die Textilfabrik «Blumer & Jenny» in Schwanden. Auch hier gilt ab 1864 der 12-Stunden-Tag

1840 begann die Einfuhr maschinell gewobener Tücher und viele Heimweber verloren ihre Arbeit. Die fehlenden Verdienstmöglichkeiten zwangen in den folgenden Jahren viele Glarner und Glarne- rinnen zur Auswanderung. 

1844 am 9. April, sagte der spätere Ständerat und erste Präsident des Schweizerischen Bundesge- richtes, Johann Jakob Blumer. in einer Landratsverhandlung: "Früher hatten wir einen natürli- chen Abfluss, die fremden Kriegsdienste, jetzt haben wir kein anders Mittel als die Auswanderung». Mit dem Ausbruch der Erdäpfelseuche im gleichen Jahr, breitete sich neben der Arbeits- losgkeit auch noch eine grosse Hungersnot aus. Das Glarnerland war "eine der unglücklichsten Gegenden des Erdbodens, wo alle Jahre viele Menschen eines langsamen Hungertodes sterben." 

1845 brachen 193 Auswanderer mit Hilfe des glarnerischen Auswanderungsvereines nach Wisconsin, USA, auf, um das Städtchen New Glarus zu gründen. 

1845 Eine im November vom Regierungsrat erlassene Verordnung, die verbesserte Arbeitsbedingun- gen in den Fabriken vorsah, wurde auf Druck einiger Fabrikanten zwei Monate später wieder aufgehoben und durch die fabrikantenfreundliche "Fabrikherren-Verordnung" ersetzt. 

1850 beginnt auch die maschinelle Weberei im Glarnerland und es kommt in den folgenden Jahren zur Blütezeit der Glarner Textilindustrie. 

1858 wurde aufgrund eines Begehrens von Pfarrer Becker die Sonntagsarbeit verboten. 

1864 brachte das Fabrikpolizeigesetz, das von 4 Arbeitern aus Luchsingen zuhanden der Landsgemeinde eingereicht wurde, substantielle Verbesserungen. Das Gesetz sah unter anderem vor, dass schulpflichtige Kinder nicht mehr zur Arbeit in der Fabrik gezwungen werden dürfen, dass die tägliche Arbeitszeit auf max. 12 Stunden beschränkt blieb, dass von 8 Uhr abends bis 5 Uhr morgens in den Fabriken nicht gearbeitet werden darf und Frauen vor und nach der Niederkunft, im ganzen während 6 Wochen, nicht arbeiten sollten. Es war das erste Gesetz in Europa, das auch für erwachsene Männer einen Normalarbeitstag von 12 Stunden festlegte.  

1868 waren 3843 Leute in den 18 Spinnereien und 17 Webereien beschäftigt. Es gab noch 800 Heimweber und 80 Personen, die in den 5 Bleichereien das Baumwollgewebe für das Drucken vorbereiteten. 5516 waren in den 22 Druckereien angestellt, 250 arbeiteten als Streicher und es gab 70-80 Modelstecher und 40-70 Fransenknüpferinnen. Rund 10'600 Personen bei einer Ge- samtbevölkerungszahl von 35'200, Kleinkinder und Greise inbegriffen, arbeiteten damals in der Textilindustrie. Der kleine Kanton Glarus nahm damals unter den Schweizer Kantonen in der Zeugdruckerei den ersten, in der Weberei den zweiten und in der Baumwollspinnerei den dritten Platz ein. Mit einigen Artikeln hatte die Glarner Zeugdruckerei eine Monopolstellung auf dem Weltmarkt. 

1872 wurde die tägliche Arbeitszeit gegen den Widerstand der Arbeitgeber auf 11 Stunden reduziert. 

1877    wurde der 11-stunden Tag im neuen eidgenössischen Fabrikgesetz, das stark durch die Glarner Erfahrungen beeinflusst war, übernommen. Die Führung des ersten eidgenössiche Fabrikinspektorates fiel dem Glarner Arzt Fridolin Schuler zu, der sich für die Anliegen der Arbeiterschaft stark gemacht hatte.

 

 

 

 

 

 

Mit dem Aufkommen des maschinellen Druckverfahrens wurde der im Kanton Glarus gebräuch- liche Hand- oder Modeldruck zunehmend verdrängt. Zudem begannen viele Staaten mit hohen Einfuhrzöllen die eigenen Waren zu schützen. Einzelne Firmen konnten diese protektionistische Politik umgehen, indem sie ihre Produktion in andere Staaten verlegten. Doch der Niedergang der Textilindustrie im Glarnerland, der bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann, war nicht aufzuhalten. 

 

Der Niedergang der Druck- und Textilindustrie gegen Ende des Jahrhunderts trifft das Land hart. Dennoch schaffte die glarnerische Wirtschaft den Strukturwandel trotz diesen widerlichen Umständen. So finden sich heute beispielsweise im denkmalgeschützten «Hänggiturm» - Holzturm, an und in dem einst die bedruckten bunten Tücher zum Trocknen ausgehängt waren - High-Tech-Unternehmen. Die gewonnene Vielseitigkeit liess die glarnerische Wirtschaft widerstandsfähiger werden; geblieben ist die enorme Exportabhängigkeit.

Quelle: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS) / geo-life.ch

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Die Fabrikglocke aus der Stoffdruckerei Egidius Trümpy in Glarus (Museum des Landes Glarus, Näfels). Anfang 1837 wurde in der Fabrik eine Glocke aufgehängt, die Beginn und Ende der Arbeitszeit anzeigen sollte. Die Stoffdruckerinnen und -drucker reagierten am 21. Januar mit der Niederlegung der Arbeit. Die bestreikte Fabrikglocke versinnbild-licht den ersten grossen Fabrik-streik in der Schweiz. 

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Als Arzt und erster Eidgenössischer Fabrikinspektor gehört Fridolin Schuler (1832–1903) zu den Pionieren des schweizerischen Sozialstaats. Bereits früh engagiert er sich für die Verbesserung der Lebensbedingungen von Fabrikarbeiterinnen und -arbeitern und die Einführung der Arbeiterschutzgesetzgebung. Als Fabrikinspektor trägt er massgeblich zur Umsetzung des Eidgenössischen Fabrik-gesetzes von 1877 in die Praxis bei.

Der denkmalgeschützte Hänggiturm auf dem Areal der ehemaligen Textildruckerei Blumer & Jenny in Schwanden wurde 1828 bei der Gründung der Firma Blumer erbaut. Er ist eines der wenigen noch bestehenden Trocknungs-gebäude, die einst in grosser Zahl ein charakteristisches Merkmal der Glarner Druckindustrie bildeten.

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