Brasilien - Erste Kolonisten aus Glarus
Glarner Auswanderung nach Brasilien 1852-1857
So wenig wie im Jahre 1849 das Kaiserreich Brasilien bei den Glarnern ein Begriff war, so wenig weiss man gemeinhin heute von den rund 2000 Schweizern (davon 318 Glarner), die zwischen 1852 und 1857 als Kaffeepflücker in Brasilien einwanderten. Denn bisher waren die Vereinigten Staaten das bevorzugte Ziel gewesen, und zwar löste eine Hungerkatastrophe 1814/16 eine erste Auswanderungswelle aus, ab 1845 entstand New Glarus (vor allem durch Auswanderer aus dem Glarner Grosstal), und eine dritte Auswanderungswelle sollte in den achtziger Jahren erfolgen. 1852 bis 1857 aber zwangen ärgste Armutsverhältnisse auch Leute aus dem Kleintal - sowie der übrigen Schweiz -, ihrem hiesigen Leben zu entfliehen, wo die Industrialisierung nebst dem wirtschaftlichen Wachstum mannigfaltige Probleme brachte, wo beispielsweise Handweberinnen arbeitslos wurden und zudem diese Probleme sich mit solchen ländlicher Art wie Missernten oder Kartoffelkrankheit verbanden.
Brasilien war zur gleichen Zeit in einer schwierigen Lage, da England gedroht hatte, den Sklavenhandel zu unterbinden. Deshalb wollte man freie Weisse für diese Arbeit gewinnen, und zwar setzte die Kolonisationsgesellschaft in Santos einen Generalbevollmächtigten für Europa in Hamburg ein (man wollte Deutsche, Schweizer und Portugiesen als Kolonisten gewinnen) sowie einen Generalagenten für die Schweiz, der die Kantone direkt zu bearbeiten hatte. Ihm oblag es, Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben und so das Leben in Brasilien publik zu machen - deshalb erschien auch die Auswandererzeitung «Der Kolonist».
Man dachte in Brasilien an ein Halbpacht-System, in dem europäischen Auswanderern die Überfahrtskosten und die notwendige Ausrüstung für die Plantagenarbeit vorgestreckt werden sollte. Dafür aber hatten die Auswanderer auf den Kaffeeplantagen zu arbeiten, bis alle Schulden abbezahlt waren, was für viele Schweizer Gemeinden sehr verlockend klang. Da die Überfahrtskosten übernommen wurden, konnten selbst die Ärmsten auswandern. Zudem erklärten sich nicht wenige Gemeinden dazu bereit, einen Teil der Überfahrtskosten vorzustrecken. Die Zinsen, die die Gemeinden bis zur Rückzahlung zu tragen hatten, kamen immer noch billiger zu stehen als die Unterstützung der Familien, wenn sie hier geblieben wären.
So wanderten denn insgesamt 57 Familien aus den Glarner Orten Bilten, Elm, Engi, Kerenzerberg, aus Luchsingen, Matt, Näfels, Niederurnen und Schwanden aus, 318 Personen im Ganzen, wobei auffallend viele Familienväter bisher im Bergbau tätig gewesen waren. Nicht alle miteinander machten sich auf die Reise, sondern ein Vortrupp sollte an Ort und Stelle sein, um dann von dort zu berichten. Als positive Briefe eintrafen, machte sich ein grosses Kontingent im Jahre 1855 auf die Reise Richtung Sao Paulo. Nach einer strapaziösen Schiffsreise, nach der Enttäuschung, dass Familien in der Hafenstadt Santos auseinandergerissen und verschiedenen Kolonien zugeteilt wurden, folgte eine Landreise ins Hochland, die zur Qual wurde. Dort angekommen, trafen sie unfertige Häuser an, die eher an Geräteschuppen erinnerten denn an menschliche Behausungen.
Das erste Jahr war für die Verschuldung und damit die Zukunft entscheidend. Gleichzeitig waren gerade in diesem Jahr die Belastungen durch die Gewöhnung an das Klima, an das Essen, die schlechten Unterkünfte und an die Arbeit ausserordentlich hoch, was oft Erkrankungen zur Folge hatte. Die Vorstellungen deckten sich also keineswegs mit der vorgefundenen Wirklichkeit, und trotzdem trafen in Glarus positive Briefe ein (gestanden sie sich ihre Lage nicht ein, oder hätte ein Brief, der die Wahrheit beschrieben hätte, die Schweiz nie erreicht?). Nach der Abrechnung des ersten Jahres aber zeigte es sich, dass die meisten hoch verschuldet waren, ja, nicht einmal die Zinsen konnten bezahlt werden, und der Traum der Unabhängigkeit war in weite Ferne gerückt.
Nun erkannte man, dass man hintergangen worden war. Denn das Projekt, das vorsah, dass die Kolonisten nach fünf Jahren schuldenfrei werden konnten, hielt nicht stand, brauchte man doch faktisch Jahrzehnte, bis man so weit war. Zwar gab es Familien, die innert kürzester Frist ihre Schulden bezahlt hatten (Einzelauswanderer ohne Schulden etwa), die anderen aber vermehrten ihre Schulden ständig, und der Ertrag der Arbeit auf den Kaffeeplantagen blieb weit unter den Erwartungen, weil die Kolonisten bei der Berechnung ihres Einkommens hintergangen worden waren (sie wurden bis um 44 % ihres Verdienstes durch falsche Berechnung betrogen). Die Auswanderer sahen sich somit in einer unauflöslichen Schuldknechtschaft gefangen; sie waren den Pflanzern auf Gedeih und Verderben ausgeliefert.
Allmählich kam es auf den verschiedenen Kolonien (sieben insgesamt) zum Ausbruch der angestauten Gefühle. Auf der Kolonie Ibicaba, die durch Evelyn Haslers Roman am besten bekannt geworden ist, sandte Thomas Davatz Briefe an das schweizerische Konsulat über die herrschenden Missstände; die Kolonie Gituba wiederum wurde schon bald aufgelöst, auf jene von Nova Olinda/Santa Cruz wurde ein Konsul gesandt, der den Kanzler der französischen Gesandtschaft einschaltete, während auf der Kolonie Boa Vista ein Streik ausbrach. 1860 besuchte als Abgeordneter der Schweizer Johann Jakob von Tschudi als ein sachkundiger Kenner Brasiliens die verschiedenen Kolonien. Laut seinem Bericht erkannte er die Kolonisten nicht wieder, hatten sie doch ihren Glauben nach fünf Jahren harter, erfolgloser Arbeit verloren und waren «faul» und gleichgültig geworden.
1865, als der Prozess beginnen sollte, erklärte die Kolonisationsgesellschaft - welche nach den Revolten die Rückzahlung der Gemeindevorschüsse eingestellt hatte - den Konkurs, und die Gemeinden gingen leer aus. Die Spuren der Schweizer Auswanderer zerstreuten sich. Zwölf Familien aus den Kantonen Graubünden, Bern und Schaffhausen wurden durch Tschudis Vermittlung auf die 1861 gegründete Staatskolonie versetzt. Zwar kam auch diese nicht zum Blühen, aber trotzdem blieb ein Teil der schweizerischen Auswanderer dort sesshaft; andere suchten sich in der Umgebung bessere Arbeitsmöglichkeiten. Die Ablösung der Sklaverei durch die Einführung der freien Arbeit auf den Plantagen war also kläglich gescheitert.
Quelle: Vortrag von Dr. Béatrice Ziegler vom 11.11.1986 im Historischen Verein des Kantons Glarus (Jahrbuch des Historischen Vereins des Kantons Glarus, Band 72 (1988), 173 f.
Erste Gruppe der Pionier-Kolonisten (Ankunft im August 1853)
Die erste bekannte Gruppe von Glarner Kolonisten, hauptsächlich aus Engi und Matt, verließ Hamburg im Juli 1853 in Richtung Santos. Nach ihrer Ankunft in Santos gingen sie alle auf die Kaffeeplantagenfarm Ibicaba.
Zweite Gruppe der Pionier-Kolonisten (Ankunft im Juni 1854)
Die Gruppe, die am 9. Mai 1854 von Hamburg nach Santos aufbrach, war die kleinste Reisegruppe der Glarner nach Brasilien. Bislang habe ich nur die beiden Brüder Johannes und Heinrich Schlittler identifiziert.
Dritte Gruppe der Pionier-Kolonisten (Ankunft im Juni 1855)
Thomas Davatz (1815-1888) war Schulmeister in Fanas, Fideris und Malans im Schweizer Kanton Graubünden. Im Jahr 1854 beschloss er, nach Amerika auszuwandern. Seine ursprüngliche Idee war, sich in den USA niederzulassen. Infolge der positiven offiziellen Propaganda der Regierung entschied er sich schliesslich, sich in Brasilien niederzulassen. Zusammen mit einer Gruppe von Landsleuten aus Graubünden, aber auch aus dem Glarnerland, dem Aargau und anderen Teilen der Schweiz bestieg er am 20. April 1855 in Hamburg das Segelschiff "Kronprinz Ernst August", mit dem er am 15. Juni 1855 nach etwas mehr als 7 Wochen in Santos ankam. Die Gruppe wurde von der Kolonisationskompanie des Senators Nicolau de Campos Vergueiro angeheuert. Einige der Siedler wurden auf das Landgut Ibicaba und andere auf das Landgut Angelica geführt, die sich beide im Bundesstaat São Paulo befanden. Beide Kolonien gehörten Senator Vergueiro, wo er Kaffee anbauen ließ.
Die grosse vierte Gruppe der Glarner Pionier-Kolonisten (Ankunft im August 1855)
Die Gruppe, die im Juni 1855 von Hamburg nach Santos aufbrach, war die grösste geschlossene Reisegruppe der Glarner nach Brasilien. Die meisten von ihnen kamen von Matt und Engi.
Die Anfänge der Einwanderung nach São Paulo
(Übersetzung der unten zitierten Website Imigração germânica no estado de São Paulo)
Es begann 1827 im Bundesstaat São Paulo, als 995 Siedler aus Deutschland geholt wurden, die von Major Schaffer im Dienste der kaiserlichen Regierung angeheuert worden waren. Mit diesen Einwanderern wurden die Kolonien Santo Amaro (meist evangelisch) und Itapecerica (meist katholisch) gegründet.
1837 wurden über Major João Bloem weitere 227 Einwanderer, meist Preußen, ins Land gebracht, von denen sich 56 (sechsundfünfzig) im Stahlwerk von Ipanema in Sorocaba niederließen und die restlichen 171 beim Bau der Straße von Cubatão nach Sao Paulo beschäftigt waren.
Von 1846 bis 1849 führte Senator Vergueiro das koloniale Partnerschaftssystem ein und stellte 506 deutsche Einwanderer für die Arbeit auf der Kaffeeplantage in der Nähe der Ibicaba-Farm ein. Nach einer von dem Schweizer Thomaz Davatz initiierten Revolte, der bessere Arbeitsbedingungen forderte, verbot Preußen die Einwanderung in den Bundesstaat São Paulo.
Im Jahre 1852 wurden 36 (sechsunddreißig) Familien aus Holstein eingewandert, insgesamt 170 Personen. Von diesen 27 Familien gingen zur Arbeit in die Fazenda São Jerônimo, die Francisco Antonio de Souza Queiroz in der Gemeinde Limeira gehört.
Der Rest, d.h. 9 Familien gingen zur Farm Sete Quedas, die Joaquim Bonifácio do Amaral in der Gemeinde Campinas gehört.
Im Jahr 1862 nahm der Hof Ibicaba wieder mehr deutsche Einwanderer auf. Es gab 104 Familien, die hauptsächlich aus Renania Palatinado und Vestphalia stammten.
Den Informationen zufolge gab es mehr als 100 Ortschaften mit Einwanderern deutscher und schweizerischer Herkunft, die auf den Kaffeeplantagen im Landesinneren von São Paulo arbeiteten.
Dieser Zustrom von Einwanderern brachte im 19. Jahrhundert etwa 8.000 deutsche und schweizerische Einwanderer in den Bundesstaat São Paulo.
Diese Einwanderer wurden vollständig in die lokale Bevölkerung integriert, so sehr, dass ihre Nachkommen, die 3. und 4. Generation, die deutsche Sprache völlig vergaßen.
Eine Beschreibung der Kolonien werden auf der zitierten Webseite aufgeführt.
Dokumente zu den ersten Kolonisten in Brasilien aus Glarus
Link zum Artikel Brazil - Early Colonists from Glarus (nur Englisch) mit einer Auflistung aller bis heute bekannten Emigranten aus Glarus
Link zum Artikel Glarus Settlers in Mucuri (nur Englisch) von Marilia Marx Jordan
Link zum Artikel The Sharecropping System and the European Immigration by Jose Eduardo Heflinger (Englisch)
Link zum Artikel Ibicaba - Die Wiege der privat organisierten europäischen Einwanderung by Jose Eduardo Heflinger (Deutsch)
Links
Link zur Website über die Deutsche Immigration in den Staat São Paulo mit einer Beschreibung der Kolonien (nur auf portugiesisch)
Link zum Luchsinger Blog Familia Luxinger ou Luchsinger - Genealogie
Link zum Blog Wandersee Family / Immigrants Suicos