Kirchenbücher und Zivilstandswesen in Glarus
Artikel von Hans Laupper, in Jahrbuch des Historischen Vereins des Kantons Glarus, Band 69, 35ff.
Einführung
Zwischen den Landsatzungen von 1387, der ersten demokratischen Verfassung der Glarner und der Einführung der Zivilstandsregister am 1.Januar 1876 sind im Kanton Glarus rund 500 Bürgergeschlechter nachgewiesen. Daraus eine Bevölkerungsstatistik abzuleiten, wäre kaum möglich. Erst seit der durch die Tagsatzung veranlassten Volkszählung von 1837 besitzen wir genauere Zahlen über die Wohnbevölkerung. Sie ergab für den Kanton Glarus 29'348 Einwohner. Für die frühere Zeit ist man auf die sogenannten Rödel der wehrfähigen Mannschaft angewiesen, die für die Verteilung auswärtiger Pensionsgelder und die Auflagen der Ämterbesetzung angelegt worden sind. Sie zeigen von 1550 bis 1700 einen Bevölkerungszuwachs von rund 6'000 auf 14'000 Seelen. Mit der im 18. Jahrhundert aufkommenden Industrialisierung und der damit geschaffenen grösseren Verdienstmöglichkeiten wuchs die Bevölkerung bis im Jahre 1797 auf 20'000 - 24'000 Einwohner an. [1]
Mit dem Wachstum der Bevölkerung in Glarus schreitet die Zunahme der Geschlechtsnamen einher. Wenn wir mit dem Auswerten dieser Namen erst im Jahre 1387 beginnen, hängt dies damit zusammen, dass das damals geltende Genossamenrecht durch ein eigentliches Landrecht (wie in Glarus allgemein der Ausdruck für Kantonsbürgerrecht lautet) abgelöst wurde. Die Urkundenlage erlaubt zwar bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts keine Kontinuität der heimischen Geschlechterfolge; dennoch belegen die ältesten Dokumente zur Landesgeschichte bis um 1400 148 verschiedene Geschlechter. Von den 123 Familiennamen des 14. Jahrhunderts ist uns eine grosse Zahl durch das Verzeichnis der Gefallenen der Schlacht bei Näfels überliefert. Im 15.Jahrhundert kamen weitere 125 Namen dazu. Sie finden sich in Urkunden, vor allem aber in alten Jahrzeitbüchern. Weitere 150 Namen stammen aus dem 16. Jahrhundert. Sie sind verzeichnet: im sogenannten Glückshafenrodel von 1504, der anlässlich eines Freischiessens in Zürich für ein Glückspiel angelegt worden war; dann in den Totenregistern der italienischen Feldzüge von 1494 bis 1515, in Urkunden und Akten aus der Zeit der Reformation und Nachreformation sowie in dem auf das Jahr 1518 zurückgehende Register der Landrechtseinkäufe. Im 17. und 18.Jahrhundert wurden nur gerade 19 Familien ins Landrecht aufgenommen; dieser Rückgang war bedingt durch eine überaus starke Einschränkung der Landrechtsaufnahmen. 1834 nahm die Landsgemeinde die Nichtlandleute, die bereits ein Tagwenrecht besassen, ins Landrecht auf: dadurch kamen gegen 40 neue Bürgergeschlechter hinzu; weitere folgten, so dass für das 19. Jahrhundert insgesamt 86 ausgewiesen sind [2]. Nach dieser skizzenhaften Übersicht beginnen wir mit den Kirchenbüchern, den eigentlichen Vorläufern der Zivilstandsregister.
Die Entstehung der Kirchenbücher
Die Kirche hat auch in Glarus die Grundlagen für das Zivilstandeswesen geschaffen. Das Land Glarus bildete einen Teil des alten Bistums Konstanz; einzig Bilten, Niederurnen und Kerenzerberg gehörten kirchlich zum Stift Schänis und waren damit dem Bistum Chur unterstellt. Als 1819 das Bistum Konstanz aufgelöst wurde, ging der gesamte katholische Teil des Landes an das Bistum Chur über. Die kantonale Verfassungsänderung von 1836, die einen langwierigen Kulturkampf zwischen Bischof Georg Bossi und der Glarner Regierung auslöste, endete zwischen den Kontrahenten mit der Vereinbarung von 1857, nach welcher der Bischof von Chur seine geistlichen Funktionen nur als Administrator nicht aber als Landesbischof in Glarus ausüben darf.
Bis 1279 waren alle Gemeinden, ausgenommen die drei zu Schänis zugeordneten Unterländer Gemeinden, kirchlich Glarus unterstellt. Bis zur Reformation lösten sich 1297 Matt, 1283 Linthal, 1371 Schwanden, 1444 Betschwanden und Mollis von der Kirchgemeinde Glarus ab [3]. Während der Religionswirren trat die Mehrzahl der Glarner zum neuen Glauben über, vorab in den Kirchgemeinden Glarus, Schwanden, Betschwanden, Matt, Elm, Mollis, Kerenzen und Niederurnen. Die sieben evangelischen Pfarrer des Landes gehörten anfänglich zur Zürcher Synode, erhielten jedoch 1621 mit Bewilligung des Rates eine eigene Synode. Dazu kam zehn Jahre später auch ein eigenes Chorgericht von sieben weltlichen und zwei geistlichen Mitgliedern für Ehesachen. Die Synode war bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts eine reine Synode der Geistlichkeit. Als solche blieb sie jedoch einer gewissen Aufsicht des Staates gewissen unterstellt, indem dieser mehrere weltliche Beisitzer abordnete. 1844 wurde die alte Synodalverfassung abgeändert und der Kanton erhielt als erster in der Schweiz eine aus Laien und Geistlichen gemischte Synode. Die Synode ist die oberste Behörde der evangelischen Landeskirche; sie überwacht und leitet deren sämtliche Angelegenheiten. Sie besteht aus: den evangelischen Mitgliedern des Regierungsrates, den Mitgliedern des kantonalen evangelischen Kirchenrates, den im Amte stehenden Gemeindepfarrern und den von den Kirchgemeinden gewählten Abgeordneten. Seit der Revision von 1882 wird sie zwar nicht de jure, aber aus praktischen Gründen vielfach vom Landammann oder vom Landesstatthalter, sofern sie dem evangelischen Glaubensbekenntnis angehören, präsidiert, während dem kantonalen Kirchenrat ein Präsident und dem Pfarrkonvent ein Dekan vorsteht [4]. Seit 1862 gehört Glarus zu den evangelischen Konkordatskantonen und ordiniert seither seine Geistlichen selbst. Alle Geistlichen beider Konfessionen müssen sich wie die Landesbeamten alle drei Jahre, seit 1974 alle vier Jahre einer Wiederwahl unterziehen. Bis zur Einführung des eidgenössischen Zivilstandsregisters oblag den Pfarrern die Führung des Zivilstandeswesens [5].
In Glarus gab es um 1600 vier katholische und sechs evangelische Kirchgemeinden. Näfels, die bedeutendste katholische, hatte sich schon 1532 von Mollis losgelöst. Bis 1875 entstanden noch zwei neue katholische und sechs evangelische Kirchgemeinden. 1607 löste sich Bilten von Niederurnen. Von der grossen Pfarrei Glarus trennten sich 1699, bzw. 1724, Evangelisch-Netstal, 1780 Katholisch-Netstal, 1724 Mitlödi und 1744 Ennenda. Luchsingen, das teils Betschwanden, teils Schwanden kirchlich unterstellt war, gründete 1753 eine eigene evangelische Kirchgemeinde; Mühlehorn trennte sich 1760 von Obstalden und Oberurnen 1868 von Näfels. Nach der Einführung der Zivilstandsregister folgten noch: 1895 Katholisch-Schwanden, 1937 Katholisch-Luchsingen und Katholisch-Niederurnen, 1942 Braunwald [6].
Die aufgeführten Daten zeigen das Werden der einzelnen Kirchgemeinden im Kanton Glarus. Ihre Kenntnis ist für die Benutzung der Kirchenbücher notwendig. Sie umfassen: die Tauf- und Geburtsregister, die Kopulations- oder Eheregister und die Totenregister; ferner Jahrzeitbücher, Urbare, Zinsrödel, Schüler- und Konfirmandenverzeichnisse und Listen der Kirchgenossen etc.
In der Schweiz beginnen Kirchenbücher, welche die Taufen, später auch die Ehen und den Tod der Gläubigen einer Kirchgemeinde verzeichnen, am Ende des 15. Jahrhunderts (1481). Ihr Dasein verdanken sie den Vorschriften bischöflicher Organe. Einige von ihnen sind uns authentisch überliefert. Im Bistum Chur gehen sie auf die Verordnung des Bischofs Heinrich IV. von 1490 zurück. Ein entsprechendes Beispiel für das Bistum Konstanz existiert nicht. Einzig ein Taufregister aus der St. Theodorskirche von Kleinbasel (1490) lässt darauf schliessen, dass vom Bodenseebistum ähnliche Erlasse verfügt wurden. Das Konzil Trient von beschloss 1563 die definitive Einführung von Tauf- und Eheregistern für die gesamte katholische Kirche. Über die Sterbebücher legte es nichts fest; diese wurden teils durch Beschlüsse von Provinzialsynoden, teils durch das "Rituale romanum" von 1614 eingeführt. Dieses enthielt auch eine genaue Anleitung, wie die Einträge in die Tauf-, Ehe- und Sterberegister abzufassen seien [7].
Im Kanton Glarus setzen die Kirchenregister gegen Ende des 16. Jahrhunderts ein. Trotz der Tridentiner Beschlüsse sind es paradoxerweise die evangelischen Kirchgemeinden, die zuerst Kirchenregister anlegen: 1571 Mollis, 1595 Matt und Elm, 1598 Glarus und 1601 Linthal. Bei den Altgläubigen kommen sie erst in der Mitte des 17. Jahrhunderts auf: 1654 Linthal, 1655 Näfels.
Bis ins 19. Jahrhundert finden sich in den Quellen zur Landesgeschichte keine behördlichen Weisungen über die Führung von Kirchenregistern. Wieweit die evangelische Landessynode Einfluss auf das Zivilstandeswesen nahm, bleibt daher offen. Auch das erste gedruckte Landsbuch von 1807 schweigt sich darüber aus. Einen schriftlichen Hinweis findet man erst im "Landsgemeind-Memorial für die Gemeine Landsgemeinde des Jahres 1836", das u. a. festhält: "Damit über die Familiennamen und die einzelnen Glieder der neu eingekauften Landleute künftig keinerlei Zweifel walten können, hat die Obrigkeit angeordnet, dass darüber ein auf die Taufbücher begründetes genaues Namensverzeichnis errichtet und in das Standes-Archiv niedergelegt werde [8]." Allgemeine Bestimmungen über die Aufsicht und die Aufbewahrung der Kirchenbücher brachte endlich das "Gesetz über das Gemeindewesen für den Kanton Glarus" von 1837. Es schreibt in § 121 vor: "Der Stillstand (die Kirchenbehörde) hat die besondere Aufsicht über alle vom Ortspfarrer zu führenden Kirchenbücher, Tauf-, Sterbe- und Familienregister und sorgt dafür, dass sämtliche Bücher und Schriften in einem geeigneten Behälter im Pfarrhaus wohl aufbewahrt werden. Ebenso liegt ihm auch ob, dafür zu sorgen, dass der laut obrigkeitlicher Verordnung vorgeschriebene Doppel der Tauf- und Sterberegister in einem anderen geeigneten Lokal in sichere Aufbewahrung gebracht werde [9]." Eine weitere Präzisierung über die Führung der Kirchenregister enthält der 1837 von der Landsgemeinde angenommene "Beschluss, betreffend die kirchlichen Angelegenheiten". Dieser besagt: "Die Kirchenregister, wozu das Taufregister, das Totenregister, das Ehe- und Konfirmandenregister gerechnet werden, soll der Geistliche genau und sorgfältig nach dem eingeführten Schema führen und alljährlich folgende Listen den betreffenden Behörden einsenden:
1. Ein Verzeichnis der Geborenen, Gestorbenen und Getrauten ist am Schlusse eines Jahres oder spätestens 14 Tage nach Neujahr dem jeweiligen Amtsmann zu bestellen. Diese Liste soll enthalten die vom 1. Januar bis und mit dem 31. Dezember Geborenen (nach den Unterabtheilungen: Knaben, Mädchen, Uneheliche darunter); die Gestorbenen (mit den Unterabteilungen: männlichen und weiblichen Geschlechts, nach Decennien) und endlich die Ehen.
2. Ein Verzeichnis der Gestorbenen ist der Sanitätskommission nach dem von ihr entworfenen Schema auszufertigen.
3. Ein Verzeichnis der frühen Beischläfer (vom 1. Januar bis 31. Dezember) worunter diejenigen neuen Eheleute zu verstehen sind, denen innert 36 Wochen nach ihrer Kopulation ein Kind geboren wurde ist dem Präsidenten der Landesarmenkommission zu übermachen.
4. Ein Verzeichnis der in dem jeweiligen zu bezeichnenden Jahr geborenen Knaben ist jährlich an die Militärkommission einzureichen.
5. Der Polizeikommission ist Anzeige von jedem in der Gemeinde geborenen Kinde zu machen, dessen Vater ein Württemberger oder Franzose und unverheiratet ist, und zugleich der Taufschein zu übersenden [10]."
Das Landsbuch von 1854 hielt an diesen Bestimmungen fest. Bis 1875 wurden keine zusätzlichen Regelungen für das Zivilstandeswesen getroffen.
Die Möglichkeit, die Kirchenbücher in den Besitz der politischen Gemeinden oder des Staates überzuführen, wie sie das Bundesgesetz von 1874 vorsah, wurde im kantonalen Ausführungsgesetz vom 29. September 1875 verankert. In § 6 legte es fest, dass "die alten, auf den Zivilstand bezüglichen Register und Akten oder Kopien davon, soweit erforderlich, in den Besitz der Zivilstandesämter übergehen sollten". Vereinzelt scheint auf Grund dieser Bestimmung eine Auslieferung erfolgt zu sein; die Beschränkung auf die "Erforderlichkeit" hat eine einheitliche Lösung verhindert. Auch eine Konzentration aller Kirchenbücher im Landesarchiv, das Garant für eine sichere Aufbewahrung wäre, wurde damit illusorisch.
Die Führung und die Aufbewahrung der Register
Gar manches gäbe es über die Kirchenbücher vor 1876 zu erzählen. Generationen haben darin ihre Spuren hinterlassen. Die handschriftlichen Einträge der Pfarrherren oder das Werden und Vergehen bestimmter Familien zu verfolgen, wäre von grossem Interesse. Doch damit würde der Rahmen dieser Arbeit gesprengt. Im Vordergrund unserer Betrachtungen steht die Führung und die Aufbewahrung der Register. Wie stand es damit?
Die Kontrollen der Register durch die Organe der Kirchenkommission und der Synode waren oft nur wenig wirksam. Pfarrer Johann Martin Leonardi, der von 1809 bis 1839 in Betschwanden tätig war, führte während seiner dreissigjährigen Amtstätigkeit überhaupt keine Bücher. Als man ihm auf die Spur gekommen war, folgte zwangsläufig seine unfreiwillige Demission. Die Gemeinde musste nach seinem Wegzug Extraerhebungen anordnen lassen, um die klaffenden Lücken in den Kirchenregistern zu ergänzen. Nicht besser machte es Pfarrer Levin Feldmann, der von 1729 bis 1735 in Schwanden amtete: Er kannte die Bücher kaum von aussen und trug nichts ein. Nur mit grösster Mühe gelang es nachher den Behörden, wenigstens die Geburten der Bürgerkinder nachzutragen, die Ehen- und Toteneinträge jener Jahre fehlen gänzlich.
Auch in Netstal und Linthal hinterliessen etliche Pfarrer eine grässliche Unordnung. Um die Erhaltung der Bücher kümmerten sie sich wenig; vielfach verschwanden die Einbände und ganze Reihen von Seiten. So fehlen in den Totenregistern von Linthal die Blätter von 1703 bis 1708, ebenso von 1735 bis 1742. Als am 4. März 1834 das Pfarrhaus von Obstalden in Brand geriet, rettete Pfarrer Jakob Menzi vor allem seine Hühner. Der Bücher erinnerte er sich erst, als es zu spät war. Selbst für die Zeit nach der Einführung der Zivilstandsregister überliefert uns der Genealoge Johann Jakob Kubly-Muller ein derartiges Beispiel. 1912 schrieb er in seinem Aufsatz "Die Genealogiewerke des Kantons Glarus":
"Das Zivilstandesbüro von Glarus war jahrelang im Gemeindehaus im erhöhten Erdgeschoss platziert, in einem Lokal, in welches man durch ein Fenster ohne grosse Mühe von der Bahnhofstrasse aus hätte eindringen können. Die Bücher waren sämtliche in einem alten zerbrechlichen Kästchen aufbewahrt, welches noch das Hilfskomitee vom 1861er Brand gespendet hatte und welches des defekten Zustandes wegen keinen andern Abnehmer oder Liebhaber gefunden hatte! Für die Aufbewahrung der allerwichtigsten Bücher war es gerade noch gut genug gewesen. Ein drohender Brandausbruch während einer Mittagspause, vom überheizten Ofen herrührend, hatte die Behörde auf das ungeeignete Lokal und mehr noch auf die mangelhafte Verwahrung so recht eindringlich aufmerksam gemacht [11]."
Neben diesen unerfreulichen Vorkommnissen sind auch einige Lichtpunkte zu verzeichnen. Pfarrer Johannes Marti, der von 1693 bis 1702 in Betschwanden die Seelsorge versah, verdanken wir eine genaue Liste der gesamten Bevölkerung seiner weitläufigen Kirchgemeinde (Adlenbach, Hätzingen, Betschwanden, Diesbach-Dornhaus und Rüti). Ebenso verdient machte sich der in Linthal tätige Pfarrer Johann Conrad Brunner. Er hinterliess uns u. a. für die Jahre 1646 bis 1674 die Namen der Verhörkinder, der Konfirmanden und sämtlicher Schüler. Dass die Namen der Bevölkerung von Mühlehorn bis anfangs des 18. Jahrhunderts, trotz des verheerenden Brandes von Obstalden, auf uns gekommen sind, muss der Weitsicht von Pfarrer Felix Kubli zugeschrieben werden. Für seine neugegründete Pfarrei zog er nämlich die Kirchenregister von Obstalden aus. Ein weiteres schönes Zeugnis liefern die Kirchenbücher des Sernftals. Sie sind sozusagen lückenlos. Während die Namen der Verstorbenen in den grossen Pestjahren 1611, 1625 bis 1629 bei Glarus und anderen Kirchgemeinden fehlen, sind sie in Matt-Engi und Elm vollständig aufgeführt. Auch die Pfarrbücher von Ennenda gehören zu den besten und sind tadellos erhalten, ebenso jene von Näfels. [12]
Bis in die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts hinein geben die Taufbücher nur die Tauf-, nicht aber die Geburtsdaten wieder; bei den Sterberegistern kann das aufgeführte Sterbedatum Todes- oder Begräbnistag sein, je nach Willkür des Geistlichen. Erst das neue Gesetz von 1875 hat einheitliche Vorschriften gebracht.
Die Familienbücher und die Genealogie
Den teilweise unschliessbaren Lücken im Bestand der Kirchenbücher steht ein Äquivalent gegenüber, um das der Kanton Glarus vielfach beneidet wird. In beinahe dreissigjähriger Arbeit hat Johann Jakob Kubly-Müller von Glarus ein Stammtafel- oder Genealogienwerk geschaffen, das auf dem gesamten Bestand der Pfarrbücher des Kantons Glarus und seiner ehemaligen Untertanengebiete Werdenberg, Sargans und Gaster, ferner auf Rodeln, Verzeichnissen, Urkunden und Materialien aus öffentlichen und privaten Archiven aufbaut. In sauberer, lesbarer Schrift hat der Verfasser in 28 umfangreichen Bänden, meist Folianten, die Familien- und Personenbestände mit allen ihren Verzweigungen zusammengestellt, nach Kirchgemeinden und in alphabetischer Reihenfolge ausgeschieden und vielfach mit historischen, kulturhistorischen und persönlichen Bemerkungen ergänzt. Vor- und rückweisende Nummern ermöglichen es, die Stammfolgen während 10 bis 12 Generationen mühelos zusammenzustellen [13]. Dieses Werk, das sämtliche Geschlechter aller Glarner Gemeinden von 1600 bis zur Gegenwart umfasst, stellt die Frucht einer ungeheuren und mühseligen Arbeit dar. Um es kurz zu würdigen, sei sein Werdegang umrissen.
Als Kubly-Müller begann, war für den Hauptort Glarus bereits eine genealogische Grundlage vorhanden, die Pfarrer und Camerarius Johann Jacob Tschudi in den Jahren 1770-1772 erarbeitet hatte. Sie trägt den Titel "Extractus aus allen noch vorhandenen Taufbüchern der Evangelischen Gemeinde Glarus, worin nach dem Alphabet die Eheleute, die Zeit ihrer Copulation, ihre erzeugten Kinder, ihr Tod, nebst einigen denkwürdigen Particular-Begebenheiten, so wie selbe auf den Tauf-, Toten- und Ehe-Registern angemerkt stehen". Ihre Entstehung schilderte Tschudi wie folgt: "Nachdem Ende Januari anno 1766 die Ehrsame Gemeinde Glarus mich Einhellig zu Ihrem Pfarrer erwählte, fügte es sich gar oft und viel, dass Gemeinde-Angehörige aus den Taufbüchern Nachricht verlangten; wie alt Sie selbst, oder Ihre verstorbenen Freunde seien, in welchen Jahren Sie, Ihre Eltern, Grosseltern, Brüder, Vettern, Schwestern oder andere Verwandte sich verehelicht, wie lang sie als Wittwen gelebt haben, wie nahe Sie mit dem oder diesem Menschen verwandt sind, um gelegentlich in zweifelhaften Erbschaften Hilfe zu beziehen, oder eine Schrift zu verfertigen oder im Tagwen-, Kirchen- oder Landrecht, in das nötige Licht zu stellen, oder sonst etwas mehr oder Minderwichtiges aufzuheitern. Dies ausfindig zu machen, erforderte oft viel Zeit, Mühe und Aufmerksamkeit und langes Durchblättern der Taufbücher. Das veranlasste bei mir den Entschluss, den vorliegenden Auszug daraus zu machen, damit in allen Fällen man sich dessen bedienen und Jedermann das gewünschte nötige und gründliche Licht geben könne. Allein diese Arbeit kostete mich in Wahrheit viel mehr Zeit, Mühe, Arbeit, Aufmerksamkeit, Nachforschen, Geduld etc., als ich mir anfangs vorgestellt habe; gleichwohl haben solche in Nebenstunden meinen in Zeit von 2 Jahren in Anspruch genommen, will solche auch stets fortsetzen. Mithin habe (ich) dies für mich, zu meiner künftigen Erleichterung mit saurer Arbeit verfertigt. Von Seiten der ehrsamen Gemeinde hat dies Niemand von mir begehrt, Niemand mir deswegen was vergütet, Niemand mir einigen Dank noch Belohnung erstattet. Das Buch selbst habe (ich) aus meinem Geld angeschafft, folglich gehört diese Frucht meines Fleisses mir und meinen Erben, als ein wahres Eigentum, wozu Niemand ein Recht hat, welches wegen der Zukunft zur nötig erforderlichen Nachricht habe bemerken wollen und sollen [14].»
Leider wurde dieses wertvolle Buch, das in Prozessen oftmals wegen sogenannten Tagwenrechtsberechtigungen als Beweismittel angerufen werden musste, nach Tschudis Tod 1784 nicht weitergeführt. Es kam als Erbgut vorerst in den Schindlerschen Besitz nach Mollis. Hier blieb es viele Jahre liegen, bis es von Augenscheinrichter Heinrich Blumer von Schwanden (1803—1860) entdeckt wurde. Später kaufte es Landammann Dr. Joachim Heer und erstattete es der evangelischen Kirchgemeinde Glarus zurück. Ein ähnliches Stammtafelwerk besitzt die Kirchgemeinde Mollis. Dieses wurde von Schatzvogt Johann Heinrich Schindler (1757-1820) erstellt und durch Richter Balthasar Zwicky (1827-1921) teilweise fortgesetzt.
Kurz nach der Brandkatastrophe von 1861, der Glarus zum Opfer fiel, beschloss der Kirchenrat von Evangelisch Glarus unter Landammann Dr. Joachim Heer ein Bürgerregister anfertigen zu lassen. Anstatt mit dem Schluss der Arbeit von Tschudi 1784 zu beginnen, erstellte Pfarrer Wilhelm Freuler von Glarus ein neues Register, das wegen seiner Lücken gänzlich unbrauchbar war. Erst der 1893 in den Gemeinderat gewählte Johann Jakob Kubly-Müller knüpfte wieder an Tschudi an und berichtigte dessen Fehler. Kubly-Müller hatte nämlich als Gelübdeverwalter (Vereidigungsbeamter) die Inventarien über den Vermögensnachlass der Verstorbenen einzuverlangen, den Verwandtschaftsgrad der Erben zu prüfen und die Erbschaftssteuer einzuziehen. Der letzte, entscheidende äussere Anlass zur Erstellung des ersten Bandes des Genealogienwerkes war der Hinschied des Fabrikanten und mehrfachen Millionärs Rudolf Heer, der zwar keine Kinder, aber eine zahlreiche und weitverzweigte Verwandtschaft hatte. So sah sich der Gelübdebeamte Kubly-Müller verpflichtet, die Erbberechtigten ausfindig zu machen. Dies veranlasste ihn, dem Gemeinderat zu beantragen, die Genealogien von Glarus herstellen zu lassen, damit ähnliche Fälle weniger mühsam und rascher bearbeitet werden könnten. Der Gemeinderat kam diesem Wunsche nach, und Kubly-Müller ging alle alten Kirchenbücher in Glarus ab 1595 nochmals durch, verglich diese mit dem "Tschudibuch" und merzte die dort gefundenen Irrtümer aus. Nach dreijähriger intensiver Arbeit lag der Band Glarus vor.
Manche Familien des Hauptortes hatten Ursprung und Verzweigungen in anderen Gemeinden, und so war es nicht verwunderlich, wenn der Wunsch wach wurde, neben Glarus auch die weiteren Ortschaften des Kantons in gleicher Weise zu bearbeiten. In der Folge erstellte Kubly-Müller bis Ende 1897 die Genealogien von Glarus-Riedern, auch des katholischen Teils; dann folgten Ennenda, Netstal und Mitlödi, danach das protestantische Unterland mit den Gemeinden Mollis, Niederurnen und Bilten. Zuletzt nahm er das Hinterland von Schwanden bis Linthal und das Sernftal in Angriff. Ende 1907 fehlten noch Näfels und Oberurnen sowie der Kerenzerberg. Für Obstalden konnte wegen des Pfarrhausbrandes von 1834 keine zusammenhängende Genealogie mehr hergestellt werden. Auf Drängen eines katholischen Freundes entschloss sich Kubly-Müller auch dazu, den ausstehenden katholischen Teil Näfels-Oberurnen zu bearbeiten. Ende 1910 war diese umfangreiche Arbeit getan. Während weiterer drei Jahre korrigierte und vervollständigte Kubly-Müller sein Genealogienwerk. Auch knüpfte er in dieser Zeit Beziehungen nach New Glarus, doch diese Bemühungen blieben ohne Erfolg [15].
Das Genealogienwerk war im Laufe von dreissig Jahren entstanden. Kubly-Müller berichtet darüber: "Das unablässige Schaffen vom frühen Morgen bis am späten Abend hatte zudem auch das Augenlicht hart mitgenommen, da die Entzifferung der alten Schriftzüge und der Schreibweise nicht immer eine leichte Sache war. Und obendrein stand dem Autor nur ein Auge zur Verfügung, weil das andere ein Unglücksfall in den Jugendjahren für immer ausgelöscht hat [16].» Als Beschreibmaterial nahm er nur das feinste, beste Handpapier, das mit grossem Kostenaufwand aus dem Ausland bezogen werden musste, weil die schweizerische Papierindustrie kein solches herstellte.
1928 ist das Genealogienwerk unter der Bedingung der Weiterführung mit Hilfe von zivilstandesamtlichen Auszügen käuflich in das Eigentum des Landes Glarus übergegangen und dem Landesarchiv einverleibt worden. Seine Betreuung oblag zuerst Verhörrichter Hans Schiesser, dann Landesarchivar Dr. Jakob Winteler und später Dr. h.c. Heinrich Rellstab. Danach wurde es von Bibliothekar Josef Müller auf dem neuesten Stand gehalten.
Das grossartige Genealogienwerk stösst heute auf reges Interesse. Es leistet hervorragende Dienste für verschiedenartige wissenschaftliche Forschungen, wobei viele Anfragen aus dem In- und Ausland kommen.
Wir schliessen unsere Arbeit mit einem Zitat von alt Bundesrat Philipp Etter, der 1944 über die Bedeutung der Genealogien die folgenden treffenden Worte schrieb: "Die Familie ist Grund- und Eckstein unseres sozialen und staatlichen Lebens. Durch sie sind wir mit dem Boden und der Geschichte des Landes verbunden. Die physischen und geistigen Kräfte, die durch die Kette der Generationen sich aufstauten, leben in uns weiter und wirken auch auf unsere Nachkommen. Wir alle tragen in uns ein geheimnisvolles Erbe, das von jenen Grundwassern stammt, aus denen unser Lebensquell aufgestiegen ist und aus denen unsere Eltern, Grosseltern und Urgrosseltern sich nährten. Das Geheimnis dieser Grundwasser werden wir nie vollends seiner Schleier entkleiden. Aber Vieles kann doch durch die Erforschung unserer Herkunft und unserer Bindungen klarer und bewusster gestaltet werden. Durch die Familienforschung stellen wir auch fest, wie tief und stark unser Leben durch die Jahrhunderte in der heimatlichen Erde wurzelt und wie eng wir der Gemeinschaft anderer Familien und Geschlechter verhaftet sind, die sich mit uns seit vielen Generationen in den Besitz der gleichen Heimat teilen. So wird die Familienkunde, die den Familienbegriff aus der Begrenztheit der horizontalen Ebene befreit und ihm durch die Vertiefung in der vertikalen Linie erst seine wahre Grösse gibt, zum Hebel eines stärkeren Gemeinschaftsgedankens, indem sie uns unsere Gemeinschaft mit der Erde, mit der Geschichte und mit dem Volk der gemeinsamen Heimat ins Bewusstsein ruft. Aus diesem Gemeinschaftsbewusstsein fliesst dann aber auch die Erkenntnis unserer Verpflichtung gegenüber unsern Nachkommen, die wir in die gleiche Kette der Gemeinschaft hineingezeugt haben und die unser Geschlecht weiter fortzeugen werden, damit es nie erlösche und als freies Geschlecht mit der freien Schweizererde immer verbunden bleiben möge [17]."
[1] Tschudi-Schümperlin, Ida und Winteler, Jakob, Wappenbuch des Landes Glarus, Genf 1937, 12
[2] Tschudi-Schümperlin, Ida und Winteler, Jakob, Wappenbuch des Landes Glarus, Genf 1937, 13
[3] Heer Gottfried, Die Kirchen des Kantons Glarus, Glarus 1890, 19-42
[4] HBLS, Band 3, 552f.
[5] Sammlung des glarnerischen Rechtes, Band 3, IV. A. Kirche
[6] Winteler, Jakob, die Kirchenbücher des Kantons Glarus, Sonderdruck aus: Der Schweizer Familienforscher, 1946, Nr. 5/6, 2
[7] HBLS, Band 7, 667f.
[8] Landsgemeindememorial für die Gemeine Landsgemeinde des Jahres 1836
[9] Gesetz über das Gemeindewesen für den Kanton Glarus, 1837
[10] Beschluss, betreffend die kirchlichen Angelegenheiten (erlassen von der Landsgemeinde 1837), in: Landsbuch des Kantons Glarus, 1852, 359
[11] Kubly-Müller, Johann Jakob, Die Genealogien-Werke des Kantons Glarus, Sonderdruck aus: Schweizer Archiv für Heraldik, 1912, Heft 4, 171f.
[12] Winteler, Jakob, Die Kirchenbücher des Kantons Glarus, 4
[13] Winteler, Jakob, Die Kirchenbücher des Kantons Glarus, 4f.
[14] Kubly-Müller, Johann Jakob, Die Genealogien-Werke des Kantons Glarus, 167f.
[15] Vogel, Konrad, Vornamengebung vom Hohen Mittelalter bis 1975 am Beispiel der Tschudi von Glarus, Zürich 1976, 1-3
[16] Kubly-Müller, Johann Jakob, Die Genealogienwerke des Kantons Glarus, 182
[17] Archiv für Schweizerische Familienkunde, Herausgeber: Johann Paul Zwicky von Gauen, Zürich 1944, Band 1, 1f.