In fremden Diensten – Glarner Soldaten zwischen Armut, Politik und Militärkarriere
- Patrick

- 13. Juli
- 5 Min. Lesezeit
Im 19. Jahrhundert verließen zahlreiche junge Männer aus dem Kanton Glarus ihre Heimat, um als Söldner in Diensten fremder Staaten – wie Frankreich, den Niederlanden oder dem Königreich beider Sizilien – zu dienen. Diese Praxis basierte auf den so genannten Kapitulationen – offiziellen Abkommen zwischen Schweizer Kantonen und ausländischen Mächten, in denen Bedingungen wie Truppenstärke, Sold, Versorgung und Rückkehrrechte festgelegt wurden.

Die Kapitulationen – Vertragliche Grundlagen des Schweizer Söldnerwesens
Im 19. Jahrhundert stellten die sogenannten Kapitulationen die völkerrechtliche und organisatorische Grundlage für den Einsatz von Schweizer Truppen in fremden Diensten dar. Diese Verträge, abgeschlossen zwischen einem ausländischen Staat (wie Frankreich, Spanien oder den Niederlanden) und einem Schweizer Kanton oder einem einzelnen Offizier, regelten detailliert sämtliche Aspekte des Militärdienstes: von der Truppenstärke über Sold und Versorgung bis hin zu religiösen Freiheiten und der Rechtsprechung.Typischerweise legten Kapitulationen fest, dass Schweizer Offiziere das Kommando über ihre Truppen behalten, dass der Dienst in der eigenen Sprache und Konfession erfolgen konnte und dass im Konfliktfall das Heimatrecht Vorrang hatte. Dies war insbesondere für katholische oder reformierte Regimenter von Bedeutung, die unter ausländischer Herrschaft ihre religiöse Identität wahren wollten.Die Kapitulationen dienten nicht nur dem Schutz der Soldaten, sondern auch der politischen Kontrolle durch den Heimatkanton. Oft mussten sie von den Kantonsregierungen oder der eidgenössischen Tagsatzung genehmigt werden. In Glarus etwa agierten lokale Offiziere als militärische Unternehmer, die sich vertraglich verpflichteten, ein Regiment aufzustellen – im Austausch für finanzielle Zuwendungen und politische Privilegien.Frankreich war über Jahrhunderte der wichtigste Vertragspartner der Schweiz. Bereits im 15. Jahrhundert wurden erste Kapitulationen geschlossen. Besonders bekannt ist der Vertrag von 1616 zwischen König Ludwig XIII. und der Eidgenossenschaft. Die französischen Schweizerregimenter wie das der Berner Familie von Diesbach oder der Schwyzer Familie von Reding dienten bis zur Französischen Revolution. Auch die Niederlande unterhielten vom 17. bis ins frühe 19. Jahrhundert Schweizer Regimenter auf Grundlage solcher Verträge – etwa das Regiment von May, an dem auch Glarner beteiligt waren.
Der Anwerbeprozess und seine Akteure
Die Rekrutierung lief meist über kantonale Offiziere. Diese rekrutierten oft auf Marktplätzen, begleitet von Trommlern und feierlichen Reden. Die angeworbenen Männer erhielten ein sogenanntes Handgeld, eine Antrittsprämie, und verpflichteten sich, meist für mehrere Jahre Dienst zu leisten.Diese Offiziere profitierten wiederum durch Provisionen, die sich an der Anzahl angeworbener Rekruten bemessen und ihnen nicht nur Geld, sondern auch Status und Karrierechancen einbrachten. So war der Weg ins fremde Militär sowohl Arbeitsplatz als auch Karrieresprungbrett für viele gebildete Glarner.
Wirtschaftliche und soziale Motive
Der Kanton Glarus litt im 19. Jh. unter Überbevölkerung, Armut und begrenztem Agrarraum, insbesondere in Tälern wie dem Sernftal. Die Landwirtschaft bot kaum ausreichende Lebensperspektive. Militärdienst im Ausland war daher eine realistische Auswegoption – mit garantierter Zahlung, Handgeld und Abenteuerreise. Manche Historiker beschreiben diesen Schritt als „logische Folge aus Armut und Hoffnungslust“.
Glarner Einheiten in fremden Diensten
Niederländischer Dienst: Vom 16. bis ins Jahr 1829 wurden 31 Schweizer Truppenkontingente – mit etwa 80 000 Mann – in die niederländische Armee integriert. Zwischen 1815 und 1914 dienten rund 7 600 Schweizer sogar in den niederländischen Kolonialtruppen in Indonesien. Viele davon, darunter auch Glarner, kämpften in heftigen Konflikten wie dem Aceh-Krieg, wobei fast die Hälfte entweder an Tropenkrankheiten starb oder verwundet zurückkehrte.
Französischer Dienst: Frankreich unterhielt im 18. und frühen 19. Jh. bis zu 20 000 Schweizer Soldaten, darunter auch Glarner, z. B. in der berühmten Cent‑Suisses‑Gard. Diese Eliteinfanterie schützte den König bis zur Revolution 1792. Im Napoléonischen Heer entstand 1805 das 1. Schweizer Regiment, ausgestattet mit drei Bataillonen, das in Italien und Russland kämpfte, etwa bei Polotsk und der Berezina.
Ein typisches Zitat unterstreicht die Bedeutung der Schweizer Einheiten für Frankreich:
„Sire, wenn euer Majestät noch all das Gold und Silber hättet, das du und deine Vorfahren den Schweizern zahltet, könnte man damit eine Straße von Paris nach Basel pflastern. Aber sei gewiss: hättest du all das Blut gesammelt, das deine Schweizer dorthin gaben, könntest du damit einen Kanal füllen.“
Das Zitat wird in James M. Lucks Buch «A History of Switzerland» (1986) überliefert, das sich auf einen tatsächlichen Dialog zwischen dem französischen Kriegsminister Marquis de Louvois und dem Oberst der Schweizergarde, Peter Stuppa, bezieht.
Spanischer Dienst: Auch Spanien beschäftigte seit dem 17. Jahrhundert immer wieder Schweizer Regimenter. Glarner dienten dort insbesondere in der königlichen Garde sowie in Infanterieeinheiten während der Zeit der Bourbonenherrschaft. Im 19. Jahrhundert wurden sie zum Teil in den Karlistenkriegen eingesetzt. Der spanische Dienst galt als ehrenvoll, war jedoch durch die politische Instabilität und die oft schwierige Versorgungslage belastet.
Dienst im Königreich Neapel-Sizilien: Das Königreich Neapel (bzw. das spätere Königreich beider Sizilien) unterhielt ebenfalls über längere Zeit Schweizer Truppen. Bereits im 18. Jahrhundert bestanden Kapitulationen, die Schweizer Regimenter unterhielten – oft geführt von katholischen Adelsfamilien wie den von Salis oder von Reding. Auch im 19. Jahrhundert reisten junge Männer aus Glarus in den Süden Italiens, wo sie mit klimatischen Härten, politischen Unruhen und Seuchen konfrontiert waren – dennoch bot der Dienst eine soziale und ökonomische Perspektive für viele.
Sardinisch-Piemontesischer Dienst: Das Königreich Sardinien-Piemont setzte bis zur italienischen Einigung 1861 Schweizer Soldaten für Wach- und Sicherungsdienste ein. In den Glarner Regimentern fanden sich oft katholische Männer, die im Dienste des Hauses Savoyen standen. Der sardische Dienst wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts politisch immer umstrittener, da die liberalen Kräfte in der Schweiz sich zunehmend gegen monarchische Bindungen stellten.
Politische Entwicklung in der Schweiz
Mit der politischen Neuordnung der Schweiz im 19. Jahrhundert änderte sich auch der Umgang mit dem Söldnerwesen grundlegend. Die Bundesverfassung von 1848 stellte einen entscheidenden Wendepunkt dar. Artikel 11 dieser Verfassung bestimmte ausdrücklich: „Kein Kanton darf fremde Truppen annehmen oder ausrüsten, noch Anwerbungen für fremde Kriegsdienste zulassen.“ Dies bedeutete das Ende der staatlich organisierten Anwerbung von Schweizer Truppen für fremde Mächte und damit das formale Aus der sogenannten Kapitulationen.Jedoch war der Auslanddienst von Schweizern damit nicht völlig unterbunden. Der Artikel richtete sich primär gegen die staatliche Organisation und Duldung solcher Werbungen. Es blieb Schweizer Bürgern weiterhin erlaubt, individuell in fremde Armeen einzutreten, solange sie nicht offiziell dafür geworben wurden oder selbst Werbung betrieben. Zwischen 1848 und 1859 wurden noch zahlreiche Schweizer, etwa im niederländischen Kolonialheer oder in französischen Einheiten, aufgenommen – oft durch halblegale Werbepraktiken.Ein vollständiges Verbot kam erst mit dem eidgenössischen Strafgesetz von 1859, welches auch die individuelle Werbung und Vermittlung unter Strafe stellte. Dennoch blieb eine bedeutsame Ausnahme bestehen: Die Päpstliche Schweizergarde. Diese wurde von dem Verbot ausdrücklich ausgenommen, da sie als religiös motivierter Schutzdienst und nicht als kriegerische Einheit betrachtet wurde.
Fazit
Die allgegenwärtige Armut und Überbevölkerung in Glarus trieb viele Männer in die fremden Heere. Dort waren sie gefragt – aufgrund ihres militärischen Rufs und dank fester vertraglicher Absprachen. Glarner Offiziere konnten ebenso gewinnen wie die fremden Staaten, die auf erfahrene Truppen angewiesen waren. Doch die Schattenseiten – Krankheit, Tod, fehlende Rückkehrperspektiven – waren ebenso real. Erst die politischen Umwälzungen der liberalen Ära führten zum Ende dieser Praxis und markierten einen dauerhaften Wandel in der schweizerischen Rollenauffassung im Krieg.



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