Wie ein bedrucktes Stoffstück aus der Region Glarus es um die halbe Welt und wieder zurück geschafft hat.
Im 17. Jahrhundert brachten Seeleute bunt bedruckte Stoffe aus Indien nach Europa. Diese Baumwollprints namens "Indiennes" erregten mit ihren lebhaften Mustern und ihrer farbenfrohen Pracht Aufsehen und wurden als Bekleidungsstoffe, Polsterungen und Wandbespannungen verkauft.
Nach 1678 wurden in Holland, England und Deutschland Manufakturen gegründet, die Baumwollgewebe im indischen Stil druckten. Die aus Frankreich geflohenen Hugenotten leisteten viel Aufbauarbeit. In der Eidgenossenschaft gründeten sie die ersten Druckereien, 1691 in Genf und 1715 in Neuenburg. Bald entstanden weitere Druckereien in Aargau, Bern, Basel, Zürich und 1740 in Glarus und 1765 in Islikon. Nach 1750 blühte der Baumwoll- und Leinendruck in Frankreich und im 19. Jahrhundert in England auf. Der Kanton Glarus und die Region Mühlhausen im Elsass entwickelten sich zu den wichtigsten Zentren des Textildrucks in Europa.
Der zeitaufwändige Handdruck mit Holzmodellen blieb bis weit in das 19. Jahrhundert hinein vorherrschend. Ab 1780 gelang es jedoch immer mehr Erfindern, den Druckprozess zur Produktionssteigerung zu mechanisieren. Ebenso bedeutsam war der Siegeszug der chemischen Farbstoffe nach 1860. Gleichzeitig erlebte der maschinelle Textildruck in vielen Ländern einen enormen Aufschwung und ersetzte allmählich den alten Handdruck vollständig durch Modelle.
Der einzigartige Aufschwung der Glarner Textilindustrie begann nach 1815. Im Glarnerland nahmen zahlreiche größere und kleinere Textildruckereien ihren Betrieb auf. Nach 1822 ließen sich mehr als 20 Spinnereien und Webereien an der Linth und ihren Zuflüssen nieder.
Glarner Handelsunternehmen und die Hersteller selbst kümmerten sich um den weltweiten Vertrieb der Baumwoll- und Leinendrucke. Durch Marktforschung und sorgfältige Anpassung der Artikel an die Kundenbedürfnisse erschlossen sie ständig neue Absatzgebiete. Diese Entwicklung erreichte ihren Höhepunkt um 1865. Von den rund 35'000 Einwohnern des Kantons Glarus arbeiteten 6250 in den 22 Druckereien, wobei Frauen und Kinder mehr als die Hälfte der Belegschaft ausmachten. Hauptsächlich von Hand bedruckten sie in einem Jahr rund 48 Millionen Meter Stoff. Unter den Schweizer Kantonen belegte Glarus den ersten Platz in der Baumwoll- und Leinendruckerei, den zweiten in der Weißweberei und den dritten in der Baumwollspinnerei. Diese einseitige industrielle Entwicklung hatte bald negative Folgen, zumal die Druckereien vollständig vom Export abhängig und damit krisenanfällig waren.
Das Glarner Tüechli ein Symboltuch
Die ursprüngliche Nutzung des quadratischen Glarner Tüechli war rein praktischer Natur - und auch für Männer reserviert, da die feinen Damen Taschentücher aus St. Galler Spitze bevorzugten. Ende des 19. Jahrhunderts war das bedruckte Glarner Tüechli Teil der Arbeitsbekleidung und die Männer benutzten es als Taschentuch. Schnupftabak war damals sehr beliebt, und wer etwas auf Zack war, blies ihn nicht einfach auf die Straße, sondern in das in der Hosentasche getragene Taschentuch. Aber wie ist das orientalische Paisleymuster, das aus der indischen Region Kaschmir stammt, überhaupt in den Ziggerschlitz gelangt?
Dies ist auf einen gewissen Conrad Blumer zurückzuführen, der 1840 als einer der ersten eine Geschäftsreise nach Jakarta unternahm. Der Schwandener Textilunternehmer machte sich auf den Weg, neue Märkte für seine Stoffproduktion zu erschließen, die mit Beginn der Industrialisierung florierte. Von seinen Reisen in den Fernen Osten brachte Blumer unter anderem das Batikmuster mit, eine Kombination aus geometrischen Bordüren und dem früher importierten Paisley-Muster.
Doch bevor das Glarner Tüechli - dieser Markenname entstand um 1970 - im Heimatland beliebt war, machte es einen Umweg. Es wurde als Massenprodukt zurück nach Asien exportiert und dort verkauft. Dank der Serienproduktion waren die Preise niedriger als die der lokalen Textilien, die damals noch handgefertigt wurden. Edwin Hauser ist der heutige Eigentümer von F. Blumer & Cie. AG, einem der letzten der einst 22 Glarner Textilhersteller. Hauser besitzt alte Vorlagen aus der Blütezeit der Glarner Textilindustrie. Muster- und Designbücher sind heute im Glarner Wirtschaftsarchiv in Schwanden und im Freulerpalast in Näfels zu finden.
Heute ist das Glarner Tüechli in 36 Farben erhältlich und trägt rund ein Drittel zum Umsatz von F. Blumer & Cie. AG bei. Gedruckt wird es in der letzten Textildruckerei in Mitlödi, wo auch hochwertige Schweizer Marken wie En Soie, Sonnhild Kestler und Le Foulard drucken lassen.
Ein "echtes" Glarner Tüechli kostet rund 14 Schweizer Franken. Edwin Hauser ist besorgt über die Kopien, die den Schweizer Markt überschwemmen. "Viele Tourismusgeschäfte in Luzern oder Interlaken bieten lieber ein günstiges Tüechli für 6 Franken als unser Original an", sagt der Unternehmer. Es scheint eine Ironie des Schicksals zu sein, dass diese Kopien hauptsächlich in Asien billig hergestellt werden. Man könnte denken, dass es eine späte Rache ist.
Quelle: Andrea Bornhauser, Bellevue NZZ, Mode & Beauty, 27.07.2019
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