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Von Glarus nach Yokohama und Hiroshima: Die bemerkenswerte Reise von Fritz Paravicini, IKRK-Delegierter

Im Zusammenhang mit den Aktivitäten des Roten Kreuzes während des Zweiten Weltkriegs wird fast ausschließlich die Hilfe von Dr. Marcel Junod hervorgehoben. Obwohl die Arbeit von Junod nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki sehr wichtig war, sollten die Aktivitäten des Roten Kreuzes unter Dr. Fritz Paravicini nicht vergessen werden.



Fritz Paravicini (offiziell Jacob August Fridolin Paravicini) wurde am 10. Juni 1874 in Ennenda im Kanton Glarus geboren. Wie der Name erkennen lässt, stammten seine Vorfahren ursprünglich aus Italien, waren aber seit dem 17. Jahrhundert in der Schweiz ansässig; die Familie Paravicini brachte eine Reihe von bekannten Gelehrten, Politikern und Offizieren hervor – und auch Mediziner.

 

Nach dem Besuch des Gymnasiums in Zürich immatrikulierte sich Fritz Paravicini 1893 an der medizinischen Fakultät der Universität Zürich. Die Leidenschaft für Medizin war ihm wohl schon in die Wiege gelegt worden, denn bereits sein Großvater väterlicherseits und sein Vater waren Ärzte. Nach bestandenem Staatsexamen erwarb er 1899 den Doktortitel mit einer Arbeit über Eierstockzysten. Die nächsten Jahre führte er ein rastloses Wanderleben, zunächst als Forscher an verschiedenen Universitäten in Europa: Heidelberg, Berlin, Wien und London. Zurück in der Schweiz, suchte er die praktische Erfahrung als Arzt an der Universitätsklinik Lausanne, der Psychiatrischen Klinik in Bern und dann am hochalpinen Kreisspital in Samedan (Kanton Graubünden). Nach weiteren Stationen als Chefchirurg am Universitätsspital Basel und Tätigkeiten am Deutschen Spital in London und in Winternitz bei Wien übernahm er die Diätklinik seines Vaters in der Nähe von Zürich.

 

Aber diese neue Arbeit schien ihn nicht auszufüllen, sein ruheloser, nach Abenteuer dürstender Charakter sehnte sich nach der großen weiten Welt, und so nahm er mit Freude und ohne zu zögern die Einladung eines Freundes an, der ihm eine Praxisgemeinschaft in Yokohama anbot. Im Jahre 1905 kam Dr. Paravicini in Japan an und etablierte sich rasch in seiner neuen Heimat. Schon bald praktizierte er als Chefchirurg am General Hospital in Yokohama und verließ Japan, abgesehen von einer kurzen Unterbrechung, Zeit seines Lebens nicht mehr.

 

1918, nach der Besetzung der deutschen Militärstützpunkte in Ts'ing-tao und Dalian, nahmen die japanischen Armeen zahlreiche deutsche und österreichische Kriegsgefangene gefangen und transportierten sie nach Japan, wo sie in 8 Lagern untergebracht wurden, von denen im Lager Kurume die Misshandlung eines deutschen Offiziers einen internationalen Streit auslöste. Um ähnliche Vorfälle in anderen Lagern zu verhindern, forderte Deutschland gemäß den Haager Regeln (über die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs) und der Genfer Konvention die Intervention des IKRK. Auf Empfehlung des Schweizer Ministers in Tokio, von Salis, wurde Paracivini im Mai 1918 zum Delegierten des IKRK in Japan ernannt.

 


Von Ende Juni bis Mitte Juli 1918 besuchte Paravicini die acht Kriegsgefangenenlager auf dem japanischen Archipel und legte den kriegführenden Ländern und dem IKRK seinen Bericht "Bericht über den Besuch der Gefangenenlager in Japan, 30. Juni bis 16. Juli 1918" vor. Darin machte er einige medizinische Vorschläge und bewertete die japanischen Behandlungen positiv. Die japanischen Armeen waren so kooperativ, dass er bei seinen Besuchen in den Lagern mit Gefangenen sprechen konnte, ohne Zeugen ausser Dolmetschern.

 

Im November 1918 endete der Erste Weltkrieg und auch Paravicini's Mission als Delegierter des IKRK fand damit ein Ende. Dennoch blieben seine Verbindungen mit dem IKRK bestehen. Insbesondere bei der 15. Internationalen Konferenz des Roten Kreuzes, die im Oktober 1934 in Tokio stattfand, nahm Paravicini als Mitglied der IKRK-Delegation teil.

 

Mit dem Angriff auf Pearl Harbour im Dezember 1941 befand sich Japan im Krieg mit den Alliierten. Auf Anfrage des IKRK stimmte Paravicini zu, wieder als dessen Delegierter in Japan zu arbeiten. Im Vergleich zum Ersten Weltkrieg war die Zahl der kriegführenden Mächte jedoch größer. Darüber hinaus wurde die Arbeit zur Unterstützung von Zivilisten in verbündeten Ländern hinzugefügt. Zwangsläufig nahm die Arbeit für den Delegierten zu und wurde komplizierter. Mit der Genehmigung des Genfer Sekretariats und der Rekrutierung von zwei Assistenten richtete er die IKRK-Delegation in Japan ein und übernahm selbst den Posten des Chefdelegierten.

 

Die Delegation von Paravicini sah sich jedoch mit zahlrichen Schwierigkeiten konfrontiert. Zum einen hielten die Vorschriften der kaiserlichen Armee an dem Grundsatz fest, dass die militärische Ehre es dem japanischen Soldaten verbietet, sich dem Feind zu ergeben. Zweitens wurden unter dem chauvinistischen Einfluss sogar Delegierte des IKRK der Spionage verdächtigt. Und schließlich ratifizierte Japan das am 27. Juli 1929 in Genf abgeschlossene Abkommen über die Behandlung von Kriegsgefangenen nicht, obwohl Japan dieses unterzeichnet hatte. Insbesondere widersetzten sich die japanischen Militärbehörden nachdrücklich Artikel 86 des Abkommens, der es Vertretern neutraler Nationen, einschließlich IKRK-Delegierten, erlaubte, ohne jede Ausnahme alle Orte zu besuchen und mit Kriegsgefangenen in der Regel ohne Zeugen zu sprechen.

 

Ein wesentliches Hindernis für die Arbeit der Delegierten war die Weigerung der ja- panischen Militärs zu gestatten, dass Gespräche mit den Internierten vertraulich, d.h. ohne Aufpasser geführt wurden; nach seinen Erfahrungen von 1918 war dies eine weitere schwere Belastung für Paravicini und seine Mitarbeiter. Es war nur zu verständlich, dass Internierte unter diesen Bedingungen nicht frei über Missstände berichten konnten, aus Furcht vor Repressalien, denn die Berichte über die Lagerbesuche wurden nachträglich veröffentlicht. Paravicinis Berichte nach Genf trugen diesem Umstand Rechnung und einem Brief an das IKRK vom 15. Mai 1942, der trotz der strengen Japanischen Zensur nach Genf gelangte schrieb er: „unsere Berichte betonen die eher positiven Seiten und ich denke, dass dies den Interessen der Kriegsgefangenen und Zivilinternierten zuträglich ist, ohne jene zu vergrämen, die in der lokalen Presse an Propaganda gewöhnt sind und es nicht mögen, wenn darin die Lager als irdische Paradiese beschrieben werden. Ab April 1944 begann das Sekretariat des IKRK, bei den Berichten aus Japan "zwischen den Zeilen zu lesen", da man endlich verstanden hatte, dass diese vordergründig immer gute Eindrücke festhielten. Bei den Gefangenen kam diese Haltung aber nicht gut an, weil sie die Berichterstattung von Paravicini über die Verhältnisse in den japanischen Gefangenenlagern als allzu positiv empfanden und dabei wohl vermutet haben dürften, dass er sich von den japanischen Militärs hatte einschüchtern lassen.

 

Im Oktober 1942 starben im Kriegsgefangenenlager von Osaka viele amerikanische Gefangene nacheinander an Ruhr. Als eine großzügig gemeinte Ausnahme wurde Paravicini und seinen Mitarbeitern im Oktober 1942 gestattet, das Gefangenenlager bei Osaka zu besuchen, nicht ohne Hintergedanken allerdings. Im Gefolge einer Dysenterie-Epidemie waren die Verhältnisse in dem Lager schlicht katastrophal, und die Militärs konnten der Lage nur unter massivem Medikamenteneinsatz Herr werden, aber genau daran mangelte es in Ja- pan. Die notwendigen Medikamente konnten nur vom Amerikanischen Roten Kreuz beschafft werden, mit dem das IKRK in Verbindung stand. Schliesslich ersuchte das Japanische Rote Kreuz (JRK) die Delegation des IKRK, über das Hilfskomitee für Kriegsgefangene dem JRK Medikamente zu liefern. Paravicini gab dem Drängen des JRK schliesslich nach und vertraute die veranlasste Lieferung dem JRK an, wohlwissend, dass auch die menschenverachtenden japanischen Militärs davon profitierten.

 

Der tägliche Dauerstress und die zermürbenden Bedingungen, unter denen er arbeiten musste, setzten Paravicini stark zu und seine Gesundheit begann darunter zu leiden. Im Juni 1943, nach einer Besuchstour in Taiwan erleidet Paravicini eine Lungenblutung, von der er sich nicht mehr erholt und bettlägerig wird. Am 29. Januar 1944 stirbt Dr. Fritz Paravicini mit 70 Jahren an den Folgen von Überarbeitung und Lungenversagen in seinem Haus in Yokohama, in den Armen seiner japanischen Ehefrau.

 

Zum interimistischen Nachfolger Dr. Paravicinis ernannte das IKRK Friedrich Wilhelm Bilfinger, einen Ingenieur aus Zürich, der in Shanghai gearbeitet hatte. Er vertrat das IKRK als Chefdelegierter bis sein Nachfolger Dr. Marcel Junod im August 1945 in Japan ankam.

 

Im Rahmen der Aktivitäten des Roten Kreuzes während des Zweiten Weltkrieges wird die Hilfe von Dr. Marcel Junod praktisch ausschliesslich hervorgehoben. Dr. Junod kam jedoch erst am 4. September in Hiroshima an. Obwohl Junod's Arbeiten im Nachgang des Atombombenabwurfes über Hiroshima und Nagasaki sehr wichtig waren, dürfen die Aktivitäten des Roten Kreuzes unter Dr. Fritz Paravicini, nicht in Vergessenheit geraten.

 

Fritz Paravicini wurde am 10. Juni 1874 in Ennenda als Sohn des Arztes Emil Paravicini (1840-1903) und Anna Maria Trümpy (1849-1921) geboren. Der Grossvater mütterlicherseits, Jakob Trümpy (1808-1889) war Fabrikant und Gründer der Firma Trümpy & Jenny in Mitlödi. Johannes Paravicini-de-Capelli (1674-1741), ein Urahn von Fritz Paravicini, war bereits Chirurg und Wundarzt, die Gene waren somit bereits in der Familie vorhanden. Dessen Vater Batholome (1649-1710) war Landvogt zu Werdenberg. Die Familie Paravicini stammte ursprünglich aus Berbenno bei Sondrio, Italien.

 

 

Quellen

Mottini Roger, Der IKRK-Delegierte Dr. Fritz Paravicini in Japan, OAG Feature I, Mai 2021, abgerufen unter: https://oag.jp/img/2021/05/Notizen2106_Feature-I_Paravicini-1.pdf

Paravicini, Fritz, IKRK Dokumente des Krieges, 20. Folge – Bericht des Herrn Dr. med. Fritz Paravicini in Yokohama über seinen Besuch der Gefangenenlager in Japan (30. Juni bis 16 Juli 1918), Basel, Jan. 1919, verfügbar unter: http://www.tsingtau.info/index.html?lager/paravicini.htm

Ohkawa Shiro, Zusammenfassung eines Vortrages gehalten am 29.10.2011

 

 

 

 

 

 

 

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