Elsy Leuzinger gilt in Fachkreisen als eine Kunstethnologin mit grossem Wissensschatz. In Glarus geboren und aufgewachsen, war sie langjährige Leiterin des Museums Rietberg in Zürich.
Bereits 1930 wurde Elsy Leuzinger zur wissenschaftlichen Mitarbeiterin, später zur Konservatorin am Völkerkundemuseums der Universität Zürich gewählt. 1949 promovierte sie mit der Dissertation «Wesen und Form des Schmuckes afrikanischer Völker». Im Herbst 1951 unternahm Elsy Leuzinger eine erste längere Reise von der Elfenbeinküste nach Mali, die sie zu den wichtigsten Kunstregionen in Westafrika, zu den Baule und Senufo an der Elfenbeinküste und zu den Dogon und den Bamana in Mali führte.
Ihre wohl wichtigste Feldforschung folgte gemeinsam mit Jolantha Tschudi in den Jahren 1954/55: Während mehreren Monaten lebten die beiden Ethnologinnen unter schwierigsten Verhältnissen bei den Afo, einem damals praktisch unbekannten Volk, an einem Nebenfluss des Benue-Flusses im nigerianischen Hochland. Ausgedehnte Reisen führten Elsy Leuzinger in der Folge aber nicht nur nach Afrika. Die Kunstethnologin besuchte mit unermüdlichem Tatendrang auch Nord-, Zentral- und Südamerika sowie Indien, Kambodscha, Japan und Indonesien. Ihre umfangreichen fotografischen Dokumente belegen sowohl wissenschaftlichen Sachverstand als auch ein geschultes Auge.
Im Jahr 1956 wurde Elsy Leuzinger als Nachfolgerin des Gründungsdirektors Johannes Itten zur Leiterin des Museums Rietberg gewählt. In dieser Stellung blieb sie bis zur Pensionierung 1972. Im Jahr ihrer Wahl wurde sie auch Gründungsmitglied der Schweizer Sektion des Internationalen Museumsverbands (ICOM), nebenbei bemerkt als erste und einzige Frau im damals reinen Männergremium. 1960 wurde Elsy Leuzinger habilitiert und unterrichtete neben ihrer Direktionstätigkeit als Privatdozentin für Kunst aussereuropäischer Völker an der Universität Zürich; 1968 wurde sie zur Titularprofessorin ernannt.
Gemeinsam mit René Wehrli, dem langjährigen Direktor des Kunsthauses Zürich, realisierte Elsy Leuzinger 1970 eine Ausstellung mit dem Titel «Die Kunst von Schwarzafrika», in welcher über 1200 Exponate gezeigt wurden. Mit insgesamt 72 000 Besuchern wurde die Schau zu einem kulturellen Grossereignis. In der Fachwelt gilt der von ihr verfasste Katalog zu dieser epochalen Ausstellung auch heute noch als massgebendes Nachschlagewerk für afrikanische Kunst von höchster Qualität.
Ergebnisse von Elsy Leuzingers kunstethnologischen Forschungsarbeit sind nebst den Sammlungsbänden des Museums Rietberg und zahlreichen Aufsätzen auch die wichtigen Publikationen «Die Kunst der Negervölker» (1959), «Die Kunst von Schwarzafrika» (1972) sowie die Herausgabe des über tausend Seiten umfassenden Bandes «Kunst der Naturvölker» der Propyläen Kunstgeschichte (1976).
Mit vielen Kunstfreunden und Sammlern pflegte Elsy Leuzinger eine fruchtbare Zusammenarbeit im Hinblick auf die Erweiterung und Ergänzung der Sammlung. Eduard von der Heydt, der Gründungsdonator des Museums Rietberg, war von ihrem Wirken derart angetan, dass er auch nach der Eröffnung des Hauses weitere bedeutende Schenkungen nach Zürich überbrachte.
Elsy Leuzinger genoss in wissenschaftlichen Kreisen grosse Anerkennung und breites Ansehen. Sie übte ihre vielen Ämter trotz einer seit Kindheit starken Gehbehinderung souverän, aber stets in bescheidener Weise aus; ihr solides und breites Wissen erwarb sie sich auf ausgedehnten Reisen durch alle Weltteile. Ihre Art, diese Kenntnisse souverän an Fachleute und Laien weiterzuvermitteln, liess niemanden unberührt, und in ihren Führungen spürten die Teilnehmer stets die hohe Achtung vor den häufig namenlosen Erzeugern dieser Weltkunst.
Elsy Leuzinger wurde als jüngstes Kind des Kaufmanns Ferdinand Leuzinger (1865-1925) und der Barbara Leonie Leuzinger geborene Streiff (1870-1947) am 7. Februar 1910 in Glarus geboren. Ihr Grossvater, Johann Peter Leuzinger (1826-1900) war Rektor und Landesbibliothekar in Glarus und ihr Ur-Ur-Grossvater Johann Peter Zwicki (1762-1820) stiftete 1788 mit Franz Josef Büeler das Denkmal für Salomon Gessner im Klöntal und begegnete 1797 Johann Wolfgang von Goethe.
Quelle: Lorenz Homberger, in NZZ vom 6.2.2010
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