Zahlreiche Glarner zogen um die Mitte des 19 Jahrhunderts nach Russland. Unter diesen befand sich auch Johann Jakob Blumer (1749-1822) aus Schwanden. 1749 geboren, verlor er seinen Vater, Fridolin Blumer (1715-1771) schon früh. Dieser war Bauer gewesen und hatte nebenbei auch den sogenannten Welschhandel betrieben, so wurde der Handel mit den Fremdsprachigen genannt. Dabei machte er allerdings schlechte Geschäfte. Der Welschhandel erwies sich für viele Glarner als eine Art Lotterie, da je nach den Verhältnissen, welche die Händler in Italien vorfanden, einmal die Viehpreise gewaltig hoch waren und so den Händlern hohe Gewinne eintrugen, ein anderes Mal aber so niedrig waren, dass, wollten sie ihr Vieh nicht wieder in ihre Heimat zurücktreiben, sie die Tiere in Italien um einen viel geringeren Preis verkaufen mussten, als sie zu Hause dafür bezahlt hatten. Sie mussten in einem solchen Fall nicht bloss all die hohen Transportkosten selbst bezahlen, sondern auch noch einen Teil des Ankaufspreises aus der eigenen Tasche drauflegen. Durch solch unglückliche Spekulationen hatte denn auch der Vater von Johann Jakob Blumer den grössten Teil seines Vermögens verloren. Nach dem frühen Tod des Vaters musste dann Blumer seine Mutter tatkräftig unterstützen. Schon als 13jähriger Knabe zog Johann Jakob Blumer ein erstes Mal nach Russland, indem er sich glarnerischen Handelsleuten, die nach St. Petersburg gingen, anschloss. Das glarnerische Hauptexportprodukt, der Schabzieger, war auch Blumers Hauptartikel bei dieser ersten Expedition. Auch gedörrtes Obst hatte er mitlaufen lassen. Mit welchem Erfolg er auf dieser ersten Handelsreise seine Waren verkaufte ist nicht mehr bekannt, jedenfalls aber muss ihm Russland zugesagt haben. Denn als er von seiner ersten Handelsreise nach Russland zurückgekehrt ist und zuhause das Schmiedehandwerk erlernt hatte, zog es ihn wieder zurück nach Russland, wo er zunächst bei einem Porzellanhändler tätig war. Dann aber liess er aus Glarus wieder Schabzieger und dürres Obst kommen und weitete sein Geschäft bald auf andere Produkte aus. Dabei half ihm seine Bekanntschaft zu einem Schiffskapitän einen Handel mit Segeltuch erfolgreich auf die Beine zu bringen. Sine Ehrlichkeit brachte ihm das Vertrauen seiner Kunden ein und sehr bald erwirtschaftete er ein ansehnliches Vermögen. Nach der Heirat mit der deutschen Maria Margaretha Treisen (1782-1845) kaufte er sich ein Haus in Moskau, welches während des grossen Brandes von Moskau im September 1812 ein Raub der Flammen wurde, danach aber um so schöner wieder aufgebaut wurde.
Dass seine Unternehmungen in hohem Masse erfolgreich waren, zeugt wohl auch seine Ernennung zum Russischen Kommerzienrat. So sehr auch seine Unternehmungen vom Glück begünstigt waren und er in Russland eine zweite Heimat fand, in welcher er sich dauernd niederliess (er starb 1822 in Moskau), hat er doch nie seine alte Glarner Heimat vergessen. So liess er seiner Mutter so grosszügige Unterstützung zukommen, dass diese eines der schönsten Häuser in Schwanden kaufen konnte. Ebenso liess er seinen 5 Schwestern so viel zukommen, dass jede ihr eigenes Haus zinsfrei kaufen konnte. Den jüngeren Bruder Kaspar (1754-1825) hat er zu sich nach Russland geholt, um ihn beim Aufbau eines eigenen Geschäftsbetriebes zu unterstützen. Ähnliches tat er zugunsten seiner Neffen, den Söhnen seiner Schwestern.
Seine Grosszügigkeit belegt auch die Errichtung der Familienstiftung Kommerzienrat J.H. Blumer. Für seine in Glarus verbliebene Familie erwarb er die Alp Oberblegi und der obere Teil des evangelischen Pfarrhauses in Schwanden. Dieses Eigentum vermachte er im Testament von 1818 seinen in Glarus wohnhaften Verwandten, woraus die Familienstiftung errichtet wurde. Gemäss den Stiftungsstatuten dürfen die Einnahmen aus der Alp Oberblegi und des Pfarrhauses an Blumer‘s Verwandte in Glarus verteilt werden, so lange Johann Jakob Blumer‘s direkte Nachkommen in Russland nicht bedürftig werden sollten. Genau letzteres bildete dann in den 50iger Jahren Gegenstand einer Feststellungsklage. Das Glarner Zivilgericht sprach einem Urenkel des in Moskau verstorbenen Kommerzienrates Johann Jakob Blumer die Alp Oberblegi zu. Dieser Nachkomme war Nikolaus von Golubitzki, einst Oberst der Zarenarmee und stellvertretender Chef der zaristischen Spionageabwehr. Bereits 1939 hatte sich Golubitzki um die Nutzniessung der Alp beworben. Nach genaueren Nachforschungen hatte das Obergericht des Kantons Glarus damals in einem Entscheid festgestellt, dass der zaristische Oberst ein direkter Nachkomme des Erblassers sei. Diese Feststellung war deshalb so wichtig, weil die Alp Oberblegi ein Vermächtnis von Blumer an seine im Glarnerland lebenden Schwestern war und die Alp nach deren Tod von den Nachkommen als Familienstiftung verwaltet wurde. Zum Zeitpunkt der Feststellung waren 36 Familienmitglieder am Überschuss der Alperträge beteiligt. Das Vermächtnis aus dem Jahre 1818 sah aber vor, dass die Nutzniessung der jährlichen Einkünfte nur den in Glarus lebenden nahestehenden Verwandten zustand, solange keine direkten Nachkommen aus Russland durch höhere Gewalt mittellos wurden und in die Schweiz zurückkehren mussten.
Nach Ausbruch der russischen Revolution gelang es Nikolaus von Golubitzki nach Polen zu fliehen, wo er von 1918 bis 1938 Gutsverwalter, Präsident des örtlichen Milchverbandes und einer Kreditbank für Kleinbauern war. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges gelangte Golubitzki über Litauen und Ostpreussen nach Österreich und von dort schlussendlich 1951 in die Schweiz.
Nach dem oben erwähnten ober-gerichtlichen Entscheid von 1939 wurde Oberst Nikolaus von Golubitzki aufgefordert, im Kanton Glarus Wohnsitz zu nehmen. Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges verunmöglichte es aber dem Flüchtling der Russischen Revolution in die Schweiz zu kommen. Denn die schweizerischen Behörden erteilten ihm die hierfür notwendige Einreisebewilligung nicht. Erst 1951, zwölf Jahre nach dem eindeutigen Gerichtsentscheid zu seinen Gunsten, gelangte Golubitzki mit Unterstützung der Internationalen Flüchtlingshilfe in die Schweiz. Drei weitere Jahre verstrichen, bis seine Identität nochmals amtlich überprüft war. 1954 hat ein neuer Gerichtsentscheid das Nutzniessungsrecht des Urenkels endgültig bestätigt und der ehemalige russische Oberst kam endlich zu seinem Recht.
Niklaus von Golubitzki war der Sohn von Sergei von Golubitzki und der Maria Dowotschikoff, die wiederum die Tochter des Wassiliew Dowotschikoff und der Anna Blumer war. Anna Blumer, geboren am 7.7.1813 in Moskau war die Tochter und Alleinerbin von Johann Jakob Blumer (1749-1822) und der Maria Margaretha Theisen (1782-1845). Niklaus von Golubitzki hatte eine Tochter Marianna (1923-1983), die 1950 Vladimir Penkov heiratete und in Los Angeles lebte.
Quellen:
Magazin "Sie und Er", Nr. 52, 23.12.1954
Historisches Jahrbuch, 26, 90ff.
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