Karl der Grosse ist mehr als tausend Jahre tot, aber sein Blut rinnt noch heute in den Adern ungezählter Tausende von Menschen. Nicht nur Fürsten und hoher Adel, sondern auch viele bürgerliche Geschlechter können ihre Ahnenreihe mit grösserer oder geringerer Sicherheit auf den grossen Kaiser zurückführen. Aber, wenn es für uns heute eine Art von genealogischem Sport ist, die zeitweise ganz besonders beliebt war, sich als Abkömmling der Karolinger zu erweisen, so war es für die Angehörigen früherer Generationen mehr. Man weiss, welche gewaltige Rolle im frühen Mittelalter die Abstammung aus vornehmem Blut spielte. Die alten Biographen bedeutender Persönlichkeiten können sich nicht genug tun in ihrer Hervorhebung. Die Zugehörigkeit zu dem kleinen Kreis von Familien edelsten Blutes bildete die Voraussetzung für politische Geltung, von der nur in Ausnahmefällen abgesehen wurde, und es war ausserordentlich schwer für einen Tieferstehenden, als Gleichberechtigter in diese herrschende oberste Volksschicht aufgenommen zu werden. Für jene Zeiten hatte die Abstammung von dem Herrscher, der das abendländische Reich geschaffen hatte, mehr als einen Eitelkeitswert. Wenn sie auch nicht die staatsrechtlich feststehende Voraussetzung für die Berufung zum Herrscheramt war, wie wohl behauptet worden ist, so gewährte sie doch ein politisches und soziales Ansehen, das für die ganze Lebensstellung höchst bedeutsam war.
Diese Wertschätzung karolingischer Herkunft nahm natürlich ab im Laufe der Jahrhunderte. Als mit den grossen Hohenstaufen die alte Kaiserherrlichkeit ins Grab sank, war auch der Nimbus völlig verblasst, den der Anteil am Blut ihres Schöpfers dereinst gewährt hatte. Ich glaube also, dass die Frage, welche Persönlichkeiten dieser früheren Jahrhunderte als Nachkommen Karls des Grossen wirklich nachgewiesen werden können, nicht nur für den Genealogen, sondern für den Historiker ihre Bedeutung hat.
Die fast drei Jahrhunderte währende Glarner Fremdherrschaft über die ehemalige Grafschaft Werdenberg im Rheintal hat nicht nur die Region tief geprägt sondern hat auch dazu geführt, dass zahlreiche Glarner Würdenträger sich durch Heirat in die lokalen Adelsfamilien einen Zugang zu den Europäischen Adelshäuser schafften.
In meiner langjährigen Forschungsarbeit über die Glarner Familien konnte ich bis heute 20 Glarner identifizieren, die sich mit adeligen Familien vermählten. Dabei handelt es sich mehrheitlich um Mitglieder der alteingesessenen Glarner Familie Tschudi:
1. Rudolf Tschudi (1222-1302), Richter und Landammann, vermählte sich mit Katharina von Bürglen, Tochter von Konrad Schüpfer von Bürglen (KM Glarus 19).
2. Rudolf Tschudi (1257-1335), Ratsherr und Keller des Landes Glarus, vermählte sich mit Judith von Windegg, der Tochter von Diethelm von Windegg (KM Glarus 29).
3. Johannes Tschudi (1290-1360), Ratsherr und Richter, vermählte sich mit Katharina von Seedorf, der Tochter von Johannes von Seedorf (KM Glarus 35).
4. Heinrich Tschudi (1328-1386), Ratsherr und Richter, vermählte sich mit Katharina von Port, der Tochter von Anton von Port (KM Glarus 49).
5. Wilhelm Netstaler (1350 -), Ratsherr, Richter und Stammvater einer angesehenen und reichen Familie, vermählte sich mit Margaretha von Mülner, der Tochter von Gottfried II. von Mülner (KM Glarus 6) - sogenannte Netstaler-Linie.
6. Mathias Netstal (1380-1440), Landammann und zu seiner Zeit der reichste Eidgenosse, vermählte sich mit Elisabeth Anna von Moos, Tochter von Heinrich von Moos (KM Glarus 8).
7. Ludwig Tschudi (1462-1534), Landvogt und Landeshauptmann, vermählte sich mit Margaretha von Gutenberg, der Tochter von Junker Georg von Gutenberg (KM Glarus 70).
8. Johannes Tschudi (1490-1522), Hauptmann, Landschreiber und Freiherr, vermählte sich mit Margaretha von Matsch, der Tochter von Graf Gaudenz von Matsch (KM Glarus 88).
9. Johannes Stucki (1486-1534), Hauptmann, Pannerherr und Herr zu Ober-Windegg, vermählte sich mit Barbara von Matsch, der Tochter von Graf Gaudenz von Matsch (KM Näfels 7).
10. Peter Tschudi (1499-1532), Seckelmeister in Chur, vermählte sich mit Katharina von Planta Wildenberg (KM Glarus 89).
11. Joachim Bäldi (1505-1571), Landschreiber, Landvogt und Landammann, vermählte sich mit Elsbeth Göldli, der Tochter von Georg Göldli und der Emeriat Mötteli von Rappenstein (KM Glarus I), sogenannte Bäldi-Linie.
12. Jost Tschudi (1511-1566), Baron, Herr von Tscherlach, Oberst und Landesbaumeister, vermählte sich mit Anastasia von Capaul, der Tochter von Graf Gottlieb von Capaul (KM Glarus 96).
13. Viktor Hässi (1526-) vermählte sich mit der gleichen Juliana von Capaul (KM Glarus XVII).
14. Kaspar Tschudi (1526-1570), Ratsherr, vermählte sich mit Helena Mötteli von Rappenstein, der Tochter von Beat Rudolf Mötteli von Rappenstein (KM Glarus 116).
15. Gilg Tschudi (1530-1591), Hautpmann in Frankreich, vermählte mit Juliana von Capaul (KM Glarus 112).
16. Meinrad Tschudi (1545-1593), Junker, Hauptmann, Ratsherr, Landvogt und Landammann, vermählte sich in erster Ehe mit Margaretha Muntprat von Spiegelberg, der Tochter von Hans Ludwig Muntprat von Spiegelberg und in zweiter Ehe mit Maria Rink von Baldenstein-Wildenberg, der Tochter von Dietegen von Baldenstein-Wildenberg (KM Glarus 125).
17. Tobias Tschudi (1554-1604) vermählte sich mit Barbara von Hohensax, der Tochter von Freihherr Johann Christof von Hohensax (KM Glarus 3).
18. Bartholome Paravicini-de-Capelli (1558-1629), Doktor der Rechte, vermählte sich mit Cleophea von Hohensax, der Tochter von Freiherr Johann Christof von Hohensax (KM Glarus 2).
19. Dietrich Streuli (1576-1617), Landvogt und Landesbaumeister, vermählte sich mit Barbara von Hohensax, der Tochter von Freiherr Johann Christof von Hohensax (KM Glarus 4), sogenannte Streuli-Linie.
20. Hans Elmer (1580-1640), Ratsherr, Chorrichter und Kirchmeier, vermählte sich mit Anna Maria von Hohensax, der Tochter von Freiherr Johann Christof von Hohensax (KM Elm 8), sogenannte Elmer-Linie.
Hervorgehoben sind diejenigen Vertreter, von welchen Abstammungen bis in die heutige Zeit nachgewiesen werden konnten. Es handelt sich hierbei vor allem um die sogenannte Netstaler-Linie und die Elmer-Linie. Erstere lässt sich vor allem auf Nachkommen der Familie Tschudi und letztere auf solche der Familie Elmer zurückführen. Da sehr viele Glarner Familien mit einer dieser beiden Familien direkt verwandt sind, kann praktisch für jede Glarner Familie in hohem Grade eine wahrscheinliche Abstammung über 13 Jahrhunderte zu Karl dem Grossen nachgewiesen werden.
Ich habe mich bei meinen Forschungsarbeiten vor allem für die ersten 14. Generationen auf das sorgfältig recherchierte und bis heute anerkannte Werk von Erich Brandenburg abgestützt, welches 1995 in einem Faksimile-Nachdruck von 1935 mit Korrekturen und Ergänzungen versehen, neu aufgelegt wurde[1]. Professor Erich Brandenburg hatte es in den 1930er Jahren unternommen, vornehmlich anhand der Quellen, eine umfassende Darstellung der erfassbaren Nachkommenschaft Karl des Grossen bis zur 14. Generation zusammenzustellen. Intensiv erforschte Brandenburg so den Zeitraum vom Jahre 770 bis um 1250. Seine Arbeit, die er 1935 veröffentlichte, ist bis heute eine wissenschaftlich anerkannte Sonderleistung genealogischer und historischer Forschungsarbeit.
Für die nachfolgenden Generationen bis zur 20. Generation habe ich mich auf die beiden ebenfalls anerkannten Ahnentafelwerke von Rübel-Blass[2] und Benziger-Müller[3] abgestützt. Vor allem die Ahnentafel von Rübel-Blass, welche anlässlich der Schweizerischen Landesausstellung 1939 herausgegeben wurde, ist eines der umfangreichsten Tafelwerke, welches die Abstammungen von Schweizer Bürgergeschlechtern zu den zahlreichen in der Schweiz vorkommenden Adelsgeschlechter aufzeigt.
Als Quelle der letzten Generationen bis zur 36. Generation hat mir das umfassende Genealogiewerk von Johann Jakob Kubly-Müller aus Glarus gedient[4]. In mehr als 30 Jahren Arbeit (1893-1923) hat Kubly-Müller dieses einzigartige Nachschlagewerk geschaffen. Es umfasst insgesamt 36 große und kleine Bände sowie das Register für die ältere Glarner Genealogie und ein alphabetisches Verzeichnis. Kubly Müllers monumentales Werk, das auf dem gesamten Bestand der Pfarrbücher des Kantons Glarus aufbaut und durch historische Verzeichnisse, Dokumente und Materialien aus öffentlichen und privaten Archiven ergänzt wird, listet alle Glarner Familien vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart in ihrer Abfolge auf.
Stammen Sie von einer Glarner Familie ab und wollen Sie wissen, ob Sie von Karl dem Grossen abstammen, dann nehmen Sie Kontakt mit mir auf.
[1] Brandenburg Erich, Die Nachkommen Karls des Grossen, Faksimile-Nachdruck von 1935 mit Korrekturen und Ergänzungen versehen von Manfred Dreiss und Lupold von Lehsten, Neustadt an der Aisch 1995. [2] Rübel Eduard, Ahnentafel Rübel-Blass, Band 1: Text, Band 2: Ahnentafeln, Zürich 1939. [3] Benziger-Müller Ralph / Zwicky von Gauen J.P., Ahnen und Nachkommen von Dr. Ralph Benziger und seiner Gemahlin Maria Donata Benziger geb. Müller, Zürich 1975 [4] Kubly-Müller Johann Jakob, Genealogien des Kantons Glarus, Manuskript in 36 Bänden, Glarus 1893-1923, mit Nachführungen bis ca. 2004, im Landesarchiv des Kantons Glarus.
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