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Ahnenforschungsprogramme können helfen, ungeklärte Kriminalfälle zu lösen

Ahnenforschung ist in – erst kürzlich faszinierte eine Meldung die Öffentlichkeit, wonach Wissenschaftler den größten Stammbaum der Welt erstellt haben: Über diesen sind 13 Millionen Menschen, vor allem in Europa und Nordamerika, über einen Zeitraum von 500 Jahren miteinander verbunden.


Angebote, mit denen man nach seinen Vorfahren und damit auch nach seinen lebenden Verwandten forschen kann, gibt es einige im Internet. Die meisten Menschen erhoffen sich wohl positive Nachrichten, wenn sie in alten Dokumenten stöbern oder sogar ihre DNA einsenden: Wer so alles mit einem verwand ist, ist spannend.


Dass solche Webseiten viel mehr sind, als Spielwiesen für Hobby-Stammbaumforscher, macht der Fall des "Golden State Killers" deutlich. Denn die US-Ermittler kamen dem mutmaßlichen Serienmörder Joseph James DeAngelo mit Hilfe ebensolcher Online-Portale auf die Spur. Dem Mann werden mindestens zwölf Morde und mehr als 45 Vergewaltigungen in den 70er und 80er Jahren zugeschrieben. Gleich mehrere Verbrechensserien sollen auf sein Konto gehen. Entfernte Verwandte des "Golden State Killers" waren Hobby-Ahnenforscher.


Wie die "Ahnenforschung" der Polizei von Sacramento hier funktionierte, teilte das Büro von Staatsanwältin Anne Marie Schubert mit: Die Fahnder verglichen eine an einem Tatort gefundene DNA-Spur mit im Netz verfügbaren genetischen Profilen – und grenzten so die Zahl der Menschen ein, die als Täter infrage kamen.


Verglichen wurde diese Tatort-Spur mit Daten entfernter Verwandter des Killers, erklärte der stellvertretende Staatsanwalt des Districts, Steve Grippi, der Zeitung "Sacramento Bee". Diese Verwandten, die wohl völlig ahnungslos waren, dass sie mit einem Mörder und Vergewaltiger verwandt sind, hatten eine solche Website für ihre private Ahnenforschung genutzt. Ihre genetischen Profile waren deshalb online verfügbar.


Weil das Erbgut dieser Familien Ähnlichkeiten mit der am Tatort gesicherten DNA-Probe hatte, werteren die Ermittler die Stammbäume dieser Familien aus und ermittelten, welche Verwandten wo in den USA wohnten, wie alt sie sind – und ob sie als Täter in Frage kommen. So stießen sie schließlich auch auf DeAngelo. Der ehemalige Polizist geriet in den Fokus der Polizei, weil sein Alter passte und er in einer Gegend lebte, in der viele der Taten verübt worden waren. Bei einer Überwachung des 72-Jährigen konnten die Ermittler von einem weggeworfenen Objekt eine DNA-Probe des Verdächtigen sichern und mit der alten Spur vergleichen.


Die Übereinstimmung der DNA-Profile wurde am Montagabend bestätigt - am Dienstag schlug die Polizei dann zu und nahm den mutmaßlichen "Golden State Killer" fest. Der Mann wurde zunächst in zwei Mordfällen in Sacramento aus dem Jahr 1978 angeklagt, weitere Anklagen in anderen Teilen Kaliforniens sollen folgen. Am Freitag soll DeAngelo in Sacramento erstmals vor Gericht erscheinen.


Welche Webseiten die Ermittler genau nutzten ist unklar. In den Vereinigten Staaten sind vor allem die Angebote Ancestry.com, GEDmatch und weiteren Anbietern populär. Die Unternehmen bestritten ihre Zusammenarbeit mit der Polizei in diesem Fall, berichtet der "Guardian". Eine Kooperation mit den Behörden ginge nur über den Rechtsweg, habe es auf Anfrage bei Ancestry.com geheißen. Das Angebot dieses Unternehmens gibt es auch auf Deutsch. Slogan: "Erforschen Sie Ihre Familiengeschichte".


Weil unklar ist, wie die Polizei hier im Detail ermittelte, entspinnt sich in den USA gerade eine Debatte um die Datensicherheit solcher Ahnenforschungs-Portale. Diese und die Privatsphäre der Kunden sind die Basis für das Geschäft mit der Neugier nach der Frage "Wer bin ich – und wer ist mit mir verwandt?" Denn wer rechnet schon damit, dass er Teil einer polizeilichen Untersuchung wird, wenn er seine persönlichsten Daten einer solchen Firma anvertraut?


Erster Fall in Europa


Während die Polizei in den USA immer häufiger auf genetische Ahnenforschung zurückgreift, um Verbrechen zu klären, ist ein Doppelmord in Schweden der erste Fall ausserhalb Nordamerikas, der so gelöst werden konnte. Das fehlende grosse Puzzleteil zur Lösung eines ungeklärten Mordfalls aus dem Jahre 2004 wurde durch einen Ahnenforscher geliefert: Peter Sjölund, der sich auf genetische Ahnenforschung spezialisiert hat, hatte der schwedischen Polizei vor zwei Jahren seine Dienste angeboten bei der Lösung von «cold cases», also von Fällen, die auch nach längerer Zeit noch nicht geklärt sind. Inspiriert hatte ihn die Festnahme des berüchtigten «Golden State Killer» in Kalifornien, dem man auf die Spur gekommen war, indem man seine DNA mit genetischen Informationen von Stammbaum-Datenbanken verglich. Solche Online-Datenbanken sind auch sehr beliebt bei Amerikanern mit schwedischen Wurzeln, von denen es rund 12 Millionen gibt – eine Folge der massiven Auswanderung verarmter Schweden in die USA ab Mitte des 19. Jahrhunderts.


Das schwedische Kriminaltechnische Laboratorium zeigte Interesse und startete ein Pilotprojekt mit Sjölund. Der anfängliche Enthusiasmus schwand jedoch schnell, als sich zeigte, dass das vorhandene genetische Profil des Täters viel zu wenig Informationen enthielt. Während die Polizei DNA-Proben auf etwa 15 Gen-Marker testet, analysieren Ahnenforscher deren 700 000, was es ermöglicht, sehr weit entfernte Verwandte wie zum Beispiel Cousins im sechsten Grad auszumachen. Nach monatelanger Arbeit gelang es dem schwedischen Amt für Rechtsmedizin sowie dem Kriminaltechnischen Laboratorium, aus den einzelnen Proben besseres genetisches Material zu gewinnen.


Dies verhalf zum Durchbruch: Als Peter Sjölund die Täter-DNA Ende April in eine kommerzielle amerikanische Datenbank hochlud, ergaben sich fast 900 Treffer. Die meisten waren sehr weit entfernt, doch 15 bis 20 Treffer schienen relevant. Mit diesen Namen tauchte der Ahnenforscher dann tief in die Archive der Schwedischen Kirche ein. Diese führte ab dem 17. Jahrhundert Buch über alle Geburten, Heiraten und Todesfälle in den Kirchgemeinden. In wochenlanger Arbeit quer durch die Jahrhunderte, in europäischen und amerikanischen Quellen, aber auch auf Facebook, suchte Sjölund Verbindungen zwischen den Treffern, gemeinsame geografische Wurzeln und mögliche Verwandtschaften. Nachdem er 600 bis 700 Personen im 19. Jahrhundert unter die Lupe genommen und deren Stammbäume bis in die Gegenwart verfolgt hatte, landete er bei einer einzigen Familie aus der Region Linköping, aus welcher der Täter stammen musste. Die Polizei holte Anfang Juni ein Bruderpaar zum DNA-Test – und tatsächlich: Der genetische Fingerabdruck des einen Mannes war völlig identisch mit jenem des Doppelmörders von 2004.

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