Die Ehe im Glarnerland des 17. bis 19. Jahrhunderts war nicht nur eine private Angelegenheit, sondern ein komplexer sozialer Prozess, der von Politik, Religion, wirtschaftlichen Zwängen und lokalen Traditionen geprägt wurde. In dieser Zeit spiegelten sich in den Regeln und Praktiken rund um die Ehe gesellschaftliche Werte wider, die tief in den Strukturen der damaligen Gesellschaft verwurzelt waren.
Eheversprechen als Basis der Ehe
Eine der auffälligsten Besonderheiten des Glarner Ehelebens war die Bedeutung des Eheversprechens. Bis ins 18. Jahrhundert hatte die kirchliche Trauung einen eher untergeordneten Stellenwert. Ein Eheversprechen wurde als nahezu rechtlich bindend betrachtet und war oftmals gleichbedeutend mit der eigentlichen Eheschließung. Dieses Versprechen war jedoch formlos, was immer wieder zu Streitigkeiten führte. Um die Gültigkeit eines Eheversprechens zu beweisen, konnten Gegenstände, sogenannte „Ehepfänder“, oder Zeugen herangezogen werden. Die rechtlichen Konsequenzen eines gebrochenen Versprechens waren schwerwiegend, insbesondere wenn daraus Kinder hervorgingen.
Die obrigkeitlichen Verordnungen zielten darauf ab, voreheliche Beziehungen zu regulieren und unerwünschte Folgen wie uneheliche Kinder oder soziale Konflikte zu vermeiden. Eine Schwangerschaft führte oft zur Eheschließung, auch gegen den Willen des Vaters. Die Behörden griffen hier mitunter zu drastischen Maßnahmen: Männer, die sich der Verantwortung entziehen wollten, wurden gezwungen, ihre Partnerin zu heiraten. Sogar Hochzeiten in Abwesenheit eines flüchtigen Bräutigams waren möglich, wobei die Frau über seine Güter verfügen durfte.
Kontrolle und Regulierung: Die Rolle der Obrigkeit
Die strenge Kontrolle der Ehe diente vor allem dazu, Armut und soziale Belastungen zu verhindern. Besonders Ehen mit Auswärtigen wurden reglementiert. Fremde Männer mussten oft hohe Summen hinterlegen, um im Falle einer Verarmung nicht die Gemeinde zu belasten. Frauen, die Fremde heirateten, verloren häufig ihr Bürgerrecht und wurden aus der Heimatgemeinde ausgeschlossen.
Auch voreheliche Sexualität stand unter strenger Beobachtung. Zwar war es in der Bevölkerung weit verbreitet, intime Beziehungen nach einem Eheversprechen als akzeptabel zu betrachten, die Obrigkeit sah dies jedoch anders. Maßnahmen wie Geldstrafen oder das Verbot, bei der Hochzeit einen Ehrenkranz zu tragen, sollten voreheliche Intimitäten eindämmen. Pfarrer waren sogar angehalten, die Schwangerschaft der Braut zu überprüfen, und mussten über „Fehlverhalten“ an die Synode berichten.
Industrialisierung und Wandel des Heiratsverhaltens
Mit der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts veränderten sich die Heiratsmuster. Während das Heiratsalter Ende des 17. Jahrhunderts aufgrund wirtschaftlicher Unsicherheiten anstieg, sank es im Zuge der aufkommenden Textilindustrie wieder. Die wirtschaftliche Mitwirkung von Frauen trug dazu bei, den Wohlstand zu sichern, und ermöglichte es Paaren, früher zu heiraten. Die neue wirtschaftliche Dynamik beeinflusste jedoch nicht nur das Alter der Heirat, sondern auch die Wahrnehmung von Ehe und Familie. Der sogenannte „frühe Beischlaf“ nahm zu, und uneheliche Schwangerschaften stiegen insbesondere in evangelischen Gemeinden.
Die Industrialisierung brachte auch eine geographische Öffnung mit sich, die sich auf die Partnerwahl auswirkte. Während im katholischen Teil des Glarnerlands Partner oft aus dem näheren Umfeld stammten, war im evangelischen Teil ein breiterer Austausch innerhalb des Kantons üblich. Ehen mit Fremden blieben jedoch aufgrund strenger finanzieller und rechtlicher Hürden selten.
Archaische Werte und soziale Sicherung
Eine bemerkenswerte Besonderheit des Glarner Ehemodells war der Schutz von Frauen und Kindern. Durch den Zwang zur Ehe und die starke Rolle des Ehegerichts konnte die Zahl unehelicher Kinder äußerst niedrig gehalten werden. Während in benachbarten Kantonen wie Zürich oder St. Gallen uneheliche Kinder oft marginalisiert wurden und kein Bürgerrecht besaßen, bot die Praxis im Glarnerland eine soziale Absicherung. Frauen und Kinder erhielten Zugang zu familiären Netzwerken, die in Zeiten wirtschaftlicher Not entscheidend waren.
Die gesetzliche Regelung im 19. Jahrhundert
Im Kanton Glarus des 19. Jahrhunderts waren die Regelungen rund um Ehe, Familie und moralische Fragen in einer Mischung aus kantonalen Gesetzen, kommunalen Vorschriften und kirchlichen Ordnungen verankert. Diese Regelungen spiegelten die starke lokale Autonomie und den Einfluss der reformierten Kirche wider, die im Glarnerland eine zentrale Rolle spielte.
Das sogenannte Landrecht war eine Sammlung von Gesetzen und Vorschriften, die das Zusammenleben im Kanton Glarus regelte. Es enthielt auch Bestimmungen zur Ehe und zur Regelung von Streitigkeiten, die aus ehelichen oder vorehelichen Beziehungen resultierten. Hierbei wurden besonders Aspekte wie das Eheversprechen, der Umgang mit unehelichen Kindern und die Rolle der Obrigkeit in der Durchsetzung von Ehepflichten festgehalten.
Die Entwicklung der Eheschliessungen im 20. Jahrhundert
Im 20. Jahrhundert nahm die strikte Kontrolle der Ehe durch die Behörden ab. Der Einfluss von Kirche und staatlicher Obrigkeit auf die Eheschließung wurde schwächer, insbesondere durch die Einführung liberalerer Gesetze und den Einfluss moderner Lebensentwürfe. Zwangsehen, wie sie im 18. und 19. Jahrhundert bei vorehelichen Schwangerschaften üblich waren, verschwanden weitgehend.
Mit der Modernisierung und zunehmenden Individualisierung stieg das durchschnittliche Heiratsalter zunächst wieder an, insbesondere in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dies war mit dem wachsenden wirtschaftlichen Druck verbunden, da junge Paare oft zunächst finanzielle Stabilität erlangen wollten, bevor sie heirateten. Gleichzeitig erweiterte sich die geografische Reichweite der Partnerwahl durch bessere Mobilität und Urbanisierung. Immer häufiger wurden Partner außerhalb des traditionellen, lokalen sozialen Umfelds gefunden.
Rechtliche Entwicklungen hatten tiefgreifenden Einfluss auf die Ehe. Die Einführung des neuen Schweizerischen Zivilgesetzbuches im Jahr 1912 vereinheitlichte die Ehegesetze in der Schweiz und schwächte die lokalen Eigenheiten, wie sie noch im 19. Jahrhundert im Glarnerland üblich waren. Spätere Reformen, wie die Einführung der Ehefreiheit und die Gleichstellung von Mann und Frau in der Ehe (verankert in der Verfassungsänderung von 1981), schufen die rechtliche Grundlage für eine modernere Ehe.
Fazit
Das Ehemodell des Glarnerlands zeigt, wie eng Recht, Brauchtum und soziale Strukturen miteinander verbunden waren. Es bot Schutz und Sicherheit für Frauen und Kinder, zwang aber zugleich zu Konformität. Die Industrialisierung brachte neue Herausforderungen, veränderte jedoch nicht die grundlegende Rolle der Ehe als zentralen Pfeiler der Gesellschaft. Die Praxis im Glarnerland, das Eheversprechen und die Eheschließung als verbindliche Elemente sozialer Ordnung zu betrachten, zeugt von einem tiefen Verständnis für die Bedeutung familiärer und wirtschaftlicher Stabilität – und liefert damit wertvolle Einblicke in die Sozialgeschichte der Schweiz. Im Kanton Glarus des 19. Jahrhunderts waren die Regelungen rund um Ehe, Familie und moralische Fragen in einer Mischung aus kantonalen Gesetzen, kommunalen Vorschriften und kirchlichen Ordnungen verankert. Im 20. Jahrhundert wandelten sich die Eheschließungen im Glarnerland von einem starren, durch Traditionen und Obrigkeit geprägten System hin zu einer flexibleren und stärker individualisierten Institution. Die Ehe blieb jedoch ein zentrales Element der gesellschaftlichen Ordnung, auch wenn sie zunehmend durch andere Lebensformen ergänzt wurde. Die Entwicklungen spiegeln die Modernisierung der gesamten Schweizer Gesellschaft wider, wobei lokale Eigenheiten des Glarnerlands zunehmend in den Hintergrund traten.
Quellen:
Anne-Lise Head-König, Eheversprechen, Illegitimität und Eheschliessung im Glarnerland vom 17. bis 19. Jahrhundert: obrigkeitliche Verordnung und ländliches Brauchtum, in: Jahrbuch des Historischen Vereins des Kantons Glarus, Band 76 (1996), 147 ff.
Landsbuch des Kantons Glarus, 1. Theil, 2. Titel (Ehe), Glarus 1861
Landsbuch des Kantons Glarus, 3. Theil, Kapitel XI (Scheidung), Glarus 1861
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